Mein spanisches Dorf
gebeten, daß sie mich Elisabeth nennt, und sie tut es wirklich. Nur der Papa bleibt bei Lisi. Ich werde auch Giselher bitten, daß er mich in Zukunft Elisabeth nennt. Es paßt viel besser zu ...!
22. November 1964
Heute vor genau einem Jahr ist der Präsident der Vereinigten Staaten, John Fitzgerald Kennedy, ermordet worden. Es ist jetzt genau zwanzig Minuten nach neun. Ich sitze in der Küche und habe das Geschirr abgewaschen. Vor genau einem Jahr um fast genau diese Zeit wurde das Fernsehprogramm unterbrochen mit der Nachricht, daß in Dallas der Todesschuß gefallen ist. Susi und ich waren ganz verblüfft. Wir mußten alle zwei lachen. Es war so merkwürdig! Dann sind wir gesessen und haben uns aneinandergeschmiegt und gesagt, wie furchtbar diese Nachricht ist für die ganze freie Welt. Und wir konnten nicht weinen. Übrigens habe ich heute nacht von Alexander geträumt, aber in Schwarzweiß. Der ganze Traum handelte von nichts. Es war nur sein Gesicht vor mir, wie auf einem Plakat, wo man die dunklen und hellen Punkte sieht, ganz vergrößert wie von einem Zeitungsfoto. Ich wollte das Gesicht angreifen, aber da wachte ich auf. Vielleicht habe ich das geträumt, weil ich gestern nachmittag allein in Sankt Peter war. Ich habe in der Kirche ein bißchen gebetet, dann habe ich aus dem Besucherbuch die Stelle herausgerissen, wo wir uns im Sommer alle hineingeschrieben haben: Alexander, Smolka, Giselher, Lothar, Susi und ich. Auch Grosch Sepperl, den wir damals oben mit seinem Zeichenblock trafen, hat sich dazugeschrieben, aber er gehört nicht zu uns, und ich habe ihn drinnengelassen. Eigentlich wollte ich Susi und Lothar auch drinnenlassen, aber da hätte ich einzelne Streifen herausreißen müssen. Neben dem Namen von Alexander hat jemand mit Bleistift dazugeschrieben: «Alex, du armer Kerl!» So eine Gemeinheit. Weil ich nämlich direkt unter Alexander stehe. Die Schrift erinnert mich an Professor Hardtmann. Aber er kann es nicht gewesen sein. Ich habe eher den Verdacht, daß es Smolka war. Smolka sagt oft «Alex» zu Alexander. Übrigens hat Giselher wieder geschrieben. Er schreibt, ich hätte seinen Brief überall herumgezeigt und das habe ihn schwer enttäuscht. Dabei habe ich ihn nur im Spital mitgehabt, und weil Smolka gefragt hat, was es bei mir Neues gibt, habe ich den Brief nur kurz geöffnet und dann wieder versteckt. Vielleicht glaubt Alexander jetzt, ich gehe mit Giselher? Ich bin ein blödes Rindvieh! Alexander ist übrigens schon längere Zeit aus dem Spital. Er fährt aber nicht nach Wien, sondern sitzt im Schlafrock am Fenster. Die Großmutter ist immer dabei, wenn ich mit Susi zufällig an seinem Haus vorübergehe. Entweder hat sie im Garten etwas zu tun oder sie steht direkt neben ihm im Zimmer. Auf der linken Wange hat er beim Lachen ein Grübchen. Und vorige Woche hat meine Mutter gesagt, ein großer, dunkler, sehr hübscher, aber krank aussehender junger Mann sei auf der Straße gewesen und habe sie sehr freundlich gegrüßt. Ob das Alexander war? Jetzt liege ich im Bett und höre Radio Luxembourg. Alexander – Alexander – – –
??? Susis Tante ist am 13. November gestorben. Ich habe sie nie leiden können, aber als ich hörte, daß sie tot ist, mochte ich sie sehr gern. Wir sind hinausgegangen in die Johanneskapelle, und ich habe in den Sarg hineingeschaut durch das Glasfenster. Ihr Gesicht war gelblich und hart und ganz verändert. Aus dem Mund sind rechts und links violette Streifen gekommen. Sie war 36. Wie viele Kinder werde ich mit IHM haben, wenn ich einmal so alt bin? Ich glaube, ich möchte mit dreißig sterben. Bald werde ich sechzehn. Und mit siebzehn beginnt das Leben … Wer wird der Erste sein? Schade, daß ich mit Lothar und einmal mit Kaufold Toni geschmust habe. Ich würde meine Lippen gern rein und unberührt anbieten, wenn DER AUGENBLICK kommt. An meine Kusine in Wien habe ich heute geschrieben, daß ich leider nicht zur Geburtstagsfeier fahren darf. Schade! Ich würde so gern einmal Wien kennenlernen! Ich habe ihr von Alexander erzählt, aber so, wie wenn er mein Freund wäre. Im Sinne von ...! Und als Absender habe ich geschrieben: Elisabeth Huemer, geborene Leitner. So kindisch bin ich. Mr. and Mrs. Alexander Huemer have the honor of inviting you to … Frau Scholz ist auch gestorben. Mutti muß sich jetzt eine neue Schneiderin suchen. Und ich auch. Leider! Sie war so einfallsreich! Eine Nierenzyste. Meine Eltern sagen, das liegt in der Familie. Übrigens
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