Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
Flucht waren einschneidend und haben uns als Familie eng zusammengeschweißt.
Bis zum Sommer 2009 lebten wir alle noch unter einem Dach in Giesenkirchen, einem Stadtteil von Mönchengladbach. Wir teilten uns zu fünft 110 Quadratmeter, ich hatte davon unglaubliche zehn für mich. Ich fand mein Mini-Zimmer
aber immer schön schnuckelig, habe mich stets in meinem kleinen Chaos wohlgefühlt. Ein Bett, zwei Schränke, zwei Regale – und alles picke-packe voll.
Ich und meine Brüder Flakron und Fatos 1996
Ich lese ganz gerne, vor allem Biografien. Lebensgeschichten finde ich spannend. Ich lerne einen wildfremden Menschen innerhalb von 200 Seiten richtig kennen. Ich fiebere in spannenden Augenblicken mit ihm mit, freue mich über gelungene Aktionen und in besonders traurigen Momenten verdrücke ich schon mal ein paar Tränen. Am Ende des Buches fühle ich mich der Hauptperson sehr nah. Berührt hat mich insbesondere die Geschichte von Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Wie die Sucht jemanden so kaputtmachen kann, das ist sehr tragisch.
Zum Glück bin ich mit Drogen bisher nie in Berührung gekommen. Ich glaube, das hat auch etwas mit meiner intakten Familie zu tun, für die ich sehr dankbar bin. Meine Eltern haben mir stets Geborgenheit vermittelt, Werte vorgelebt, die
ich nachleben möchte. Sie haben mir die Stärke gegeben, Nein zu sagen, meine Grenzen zu erkennen. Meine Eltern sind für mich Vorbild, abheben ist da nicht drin. Meine Familie und mein Freundeskreis sorgen dafür, dass ich die Bodenhaftung nicht verliere. Selbst wenn ich zwei, drei Staatspräsidenten schon die Hand geschüttelt habe oder mit einigen Sportgrö ßen essen war, macht mich das nicht zu einem besseren Menschen. Ich weiß, wo ich herkomme. Meine Familie und mein Zuhause sind mir heilig.
Meine Mama und mein Papa im Jahr 2002 – sind sie nicht ein schönes Paar?
Meine Brüder Fatos und Flakron mussten mich immer beschützen. Das hat ihnen mein Papa auferlegt. Er hatte Angst, dass seinem einzigen Mädchen etwas passiert. Für meine Brüder war es selbstverständlich, und sie sind auch ein bisschen stolz auf mich. Das geht so weit, dass Flakron im Fitnessstudio von Giesenkirchen sogar ein Nationaltrikot mit meinem Namen trägt. Echt süß!
Wir sind eine muslimische Familie, allerdings würde ich uns als sehr gemäßigt bezeichnen. Schon im Kosovo hat meine Mama nie ein Kopftuch getragen, für mich kam das später auch nicht infrage. Das war für uns nie ein Thema. Auch wenn ich gewollt hätte, wäre mein Papa eingeschritten und hätte Nein gesagt.
Ich frage mich manchmal, ob meine Fußballkarriere so verlaufen wäre, wenn ich mit Kopfbedeckung auf dem Platz herumgelaufen wäre. Man muss sich das mal vorstellen: Ich stehe bei einem Länderspiel auf dem Rasen in voller Montur. Kopftuch, lange Hosen, langer Pullover. Geht das? Was würden die Leute sagen? Würden sie es akzeptieren? Ich glaube eher nicht! Es wäre zu fremd für eine Gesellschaft, die noch Probleme hat, sich mit Moscheen in ihrer Nachbarschaft anzufreunden. In einigen Bundesländern gilt ein Kopftuchverbot für Bedienstete des Staates, weil eine religiöse Neutralitätspflicht gewährleistet werden soll. Lehrerinnen dürfen etwa in Bayern und Baden-Württemberg nicht mit Kopfbedeckung unterrichten. Und jetzt stelle man sich mal vor, dass da eine Fußballerin vor einem Länderspiel bei der deutschen Nationalhymne mit Kopftuch in die Kamera lächelt und die Hymne mitsingt! Nein, das würde wohl nicht funktionieren.
Doch auch ohne Kopftuch bin ich gläubig, bete aber nicht täglich, sondern nur vor jedem Spiel und sehr oft für meine Familie. Wir essen auch kein Schweinefleisch. Das führt bei der Nationalmannschaft manchmal zu kleinen Problemen: Spaghetti bolognese etwa kann ich in der Originalversion nicht vertilgen. Meistens wird noch eine eigene Soße für mich gezaubert. Diese Rücksicht schätze ich sehr, schließlich könnte man mir auch Nudeln ohne Soße zumuten.
Zurück zu meinem ehemaligen Zimmer in Mönchengladbach, in dem ich immerhin fast 15 Jahre meines Lebens verbracht habe: In meinem großen Schrank herrschte Chaos. Ich liebe Klamotten – die lagen da wild durcheinander drin. Die feinen Teile hingen auf Bügeln, der Rest wurde drum herum gestapelt. Im anderen Eck stand mein Sportkleidungsregal. In
dem steckten die Nationalmannschaftsklamotten. Fein säuberlich aufgereiht hingen die Trikots der Spielerinnen, mit denen ich nach einer Partie mein
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