Mein Wahlkampf (German Edition)
nie dahinter, darauf achtete ich sehr. So pflegte ich früh den Kontakt zu den Gastarbeiterkindern, die später meine Wähler werden würden.
Auf dem Gymnasium bildete ich mich eifrig weiter. Meine Intelligenz schwoll noch stärker an als meine Pickel, von Tag zu Tag wuchs mein politisches Gespür. «Das Hauptproblem der Erziehungsreform sind die Lehrer», schrieb ein empörter Mao Tse-tung in seine nach ihm benannte Bibel und hatte damit nur zu recht. Regelmäßig deckte ich politische Missstände auf, etwa eine Sechs in meiner Lateinklausur. Ganz eindeutig eine reine Schikane, um mich politisch mundtot zu machen, zumindest auf Lateinisch – eine Sprache, die ich ohnehin nicht verstand. Es war jedoch nicht immer leicht, einen Entrüstungssturm unter meinen Schulkameraden zu entfachen. Die meisten hatten nur ihr eigenes erbärmliches Fortkommen im Sinn, anstatt fürs große Ganze zu kämpfen – nämlich für mein Fortkommen. Ein solch unsolidarisches Verhalten widersprach meinem Verständnis von Solidarität zutiefst.
Doch es gab auch Glücksmomente. Unser Griechischlehrer hatte die Schriften der wichtigsten Erfolgspolitiker dieser Welt im Bücherregal stehen. «Politik ist mein Steckenpferd», sagte er, «und bei mir könnt ihr es reiten.» Einmal in der Woche lud er einen Kreis ausgesuchter Schüler zum «politischen entre nous », wie er es nannte, in sein Haus. So studierte ich jeden Dienstagnachmittag die Schriften von Machiavelli und Montesquieu, von Alfred Rosenberg und Carl Schmitt, Carlo Schmid und Helmut Schmidt, während Herr Grundeis, denn das war sein Name, mit den anderen Kindern in der Sauna war. Gebannt arbeitete ich mich durch sämtliche Goebbels-Tagebücher und erfuhr, warum Hitler immer recht hatte. In Mein Kampf (den besaß Herr Grundeis noch im Original aus dem Nachlass seines Vaters) las ich, warum die anderen immer unrecht hatten und dass der Verfasser deshalb beschloss, Politiker zu werden. «Ich wollte nicht Beamter werden», schrieb Adolf «Schicklgruber» Hitler im ersten Kapitel, und für mich galt das auch. Also studierte ich die Mao-Bibel , um zu lernen, wie man sich in Volksmassen bewegt wie ein Fisch im Wasser; durchforstete Solschenizyns Archipel Gulag , um mir die Funktionsweise eines leistungsfähigen Disziplinarapparates für politische Gegner zu erschließen; verschlang Michail Bakunin, um mich über Anarchie und das Absterben des Staates zu informieren, zu dem es unter meiner Herrschaft zwangsläufig kommen würde; und vertiefte mich in die Marx-Engels-Werke , um ein theoretisches Fundament für meine später angestrebte Kapitalakkumulation zu legen.
Wenn Herr Grundeis schweißnass aus der Sauna kam und ich noch immer über den Büchern brütete, strich er mir versonnen durchs Haar und sagte: «Tritt einer Partei bei, Junge! Egal, welcher. Die nehmen dich an der Hand und zeigen dir, wie du dich in der Hierarchie hocharbeiten kannst. Du wirst sehen: Die, die sich am meisten Mühe geben und die besten Beziehungen haben, schaffen es vielleicht nach ganz oben. Und die, die keine Skrupel kennen, die schaffen es ganz bestimmt.»
Ich wurde immer heißer darauf, Verantwortung zu tragen. «Macht und Verantwortung sind untrennbar miteinander verbunden», bemerkte schon mein Vorbild Konrad Adenauer ganz richtig – deswegen musste ich logischerweise erst einmal beträchtliche Macht gewinnen und ausüben, damit das mit der Verantwortung auch seinen Sinn hatte. Die richtige Basisqualifikation brachte ich gleich mit: «Um die Volksherrschaft zu erreichen», schreibt Niccolò Machiavelli in Der Fürst , «bedarf es weder besonderer Tüchtigkeit noch besonderen Glücks, sondern eher einer vom Glück begünstigten Verschlagenheit.» Dass ich die hatte, bescheinigten mir meine Lehrer. Außerdem war ich jung, flexibel und passte mich jeder nur erdenklichen Situation geschickt an.
Ich ging immer den geraden Weg – hinter jemand anderem her. Dabei tat ich schlichtweg alles, was derjenige vor mir auch tat. Brachte das keinen Erfolg, konnte ich auf den Schuldigen deuten. War ich jedoch erfolgreich, war von ihm keine Rede mehr. Auf diese Weise kam ich immer besonders gut, ja noch besser voran – auf ausgetretenen Pfaden läuft sich’s wie von selbst. Das beherzigte ich auch in späteren Jahren, als ich mich stets an erfolgreichen Vorbildern orientierte: Ich legte mir Nehmerqualitäten zu wie Christian Wulff, wollte spritzig unterwegs sein wie Jörg Haider, dabei aber auch hartnäckig und
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