Mein Wahlkampf (German Edition)
als wenn ich für einen vergleichbaren Anzug bei einem türkischen Schneider in Deutschland neunhundertfünfzig Steine bezahlt hätte.
Selbstverständlich muss der Anzug auch zu dem Körper passen, der in ihm wohnt. Zu Beginn meiner politischen Karriere war ich noch schlank und spillrig, ja regelrecht dürr. Das schaffte natürlich nur wenig Vertrauen bei einer Bevölkerung, die gerade die Nachkriegsfresswelle erfolgreich hinter sich gebracht hatte und sich im kulinarisch aufgeschlossenen Süddeutschland mit Spätzle und Braten, Wein und Bier einen nachhaltig aufgedunsenen Volkskörper zulegte. Letztlich können nur beleibte Politiker auch wirklich beliebt sein (Kohl! Beck! Gabriel!), nur mit einem vertrauensbildenden Speckgürtel kann man Leutseligkeit verkörpern und Machtfülle demonstrieren. Also trat ich zur Bürgermeisterwahl 2012 wesentlich fülliger an – so wie auch mein Vorbild Karl-Theodor zu Guttenberg als dünner Emporkömmling aus dem Amt gejagt wurde und dann als angehender Elder Statesman «etwas fülliger geworden» ( Bunte ) seinem arroganten Auftreten wesentlich mehr Gewicht verlieh.
Zu guter Letzt: Aufgrund meiner einfachen Herkunft war ich schon immer einfach für jeden wählbar – und bin es noch! Ich will mich hier nicht über Gebühr anpreisen, aber als Politiker muss ich einfach ansprechen, was Sache ist: Mich kann jeder wählen. Ich bin ein Kandidat für alle Volks- und Einkommensschichten. Die Reichen können mich wählen, weil ich durch meine offenen Bereicherungsabsichten zeige, dass schnell ergattertes Geld eine schöne Sache ist. Die Armen können mich wählen, weil mein Programm so armselig wirkt. Die Intelligenten können mir gönnerhaft ihre Stimme geben, um damit zu zeigen, dass sie die Ironie begriffen haben. Und die Dummen können mich jederzeit wählen, weil sie die Ironie nicht begriffen haben. Für Frauen bin ich als klassischer Frauentyp unbedingt wählbar, für Männer aber auch, weil ich ein Mann bin und – das sage ich ganz offen – auch bleiben werde.
Als Politiker bin ich also gut, ja bestens aufgestellt. Ich weiß, wo ich stehe. Immer wieder habe ich darüber nachgedacht, wer ich bin und warum. Heute weiß ich: Es liegt an meiner Biographie. Sie ist der Grund. Dies bestätigte mir – indirekt – auch mein politischer Mentor Joschka Fischer, als er 2001 in einem Interview sagte: «Ohne meine Biographie wäre ich heute ein anderer, und das fände ich gar nicht gut.»
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Die Kampagne
Wie man volkstümliche Propaganda mit Nutten und Koks macht
«Maßgeschneidert!», rief der Inspizient. Immer wieder: «Maßgeschneidert!» Ich zupfte das Revers meines roten Wahlkampfanzugs zurecht und erklärte dem Mann mit dem trotzkistischen Spitzbart, dass er mich wirklich nicht belehren müsse. Schließlich sei ich schon im politischen Geschäft gewesen, als er ja wohl noch Quark im Schaufenster war. Doch er ließ nicht locker: «Wir müssen eine maßgeschneiderte Kampagne für Sie entwickeln, eine, die exakt auf Ihre Persönlichkeit zugeschnitten ist. Auf Ihren Namen, Ihr Gesicht, Ihr Leben, Ihre Ideen. Dazu muss ich alles Wichtige über Sie wissen – was für ein Mensch Sie sind, ich muss Ihre Stärken und Ihre Schwächen kennen, Ihre Träume, Ihre Kontakte und Ihren Kontostand, alles. Ihre Vorstrafen und sämtliche Gerüchte, die über Sie kursieren.»
An den meisten Gerüchten, die über mich kursierten, sei nichts dran, erklärte ich, weder an den Gerüchten über die «szenetypischen Briefchen», die ich angeblich von Michel Friedman erhalten haben sollte, noch an denen über die «jüdischen Vermächtnisse», deren Annahme die CDU mir nachsagte. Vor allem an dem Gerücht, ich sei in meiner aktiven Journalistenzeit ein selbstgefälliger, cholerischer, von Neid und Geiz zerfressener Vorgesetzter gewesen – an dieser Geschichte sei nicht das Geringste dran, da sie ausnahmslos von meinen ehemaligen Mitarbeitern verbreitet würde, von faulen, verlogenen und naturgemäß untalentierten Subjekten, die weder mit Geld noch mit Worten umgehen könnten. «Das sind nichts als dreckige Lügen, die sich diese verkommenen Opfer einfach ausgedacht haben», schrie ich den Inspizienten an und schob ihm die Nickelbrille wieder auf die Nase. Sie war ihm runtergerutscht, als ich seinen Oberkörper geschüttelt hatte. «Schwächen habe ich keine, und wenn wir meine Stärken notieren wollten, dann säßen wir morgen noch da.»
«Wirklich keine einzige Schwäche?
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