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Mein wirst du bleiben /

Mein wirst du bleiben /

Titel: Mein wirst du bleiben / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Busch
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vor dem Unfall und sämtliche Lebensinhalte umfasste –, bei der der Patient aber gleichzeitig die kognitiven Fähigkeiten behielt, sprich, über sich und andere nachdenken, planen, Wünsche äußern konnte, gab es nicht. Das wusste Ehrlinspiel inzwischen. Auch dass jemand nach knapp zwei Jahren Wachkoma so schnell wieder so fit war … In Einzelfällen hatten Patienten den Weg zurück in das frühere Leben geschafft. Aber erst nach sieben bis acht Jahren Reha. Miriam jedoch hatte all das in ihrem Wahn nicht gemerkt. Für sie war Sonja Paschek ihre Mutter. Das war ihre Realität gewesen. Und war es noch.
    »Sie hat mich geliebt, Herr Ehrlinspiel. Verstehen Sie? So, wie mich nie jemand geliebt hat.«
    Sie hat ihre Mutter geliebt, dachte er, sagte aber nichts.
    »Ich wollte einfach nicht glauben, dass sie Böses tut. Also wollte ich glauben, dass jemand anders es war. Erst sagte ich mir: Kurt Paschek hat dich gefunden. Er tötet Menschen in deinem Umfeld, um dir Angst einzujagen. So, wie er dir immer Angst eingejagt hat – nur jetzt auf einer neuen Ebene. Dann habe ich mich an die Hoffnung geklammert, es sei Miriams Vater, von dem sie immer nur vage Andeutungen gemacht hat. Ich habe nicht geglaubt, dass er tot ist. Als Sie mir das sagten, war auch diese Hoffnung dahin. Also kam ich auf Kurt Paschek als Täter zurück.«
    »Sie haben gedacht, er wollte die Konkurrenz aus dem Weg räumen, nicht wahr? Martin Gärtner.« Er musterte ihre leicht gewölbte Stirn, die Fältchen in den Augenwinkeln. Er hätte ihr eine glückliche zweite Lebenshälfte gegönnt.
    »Martin Gärtner.« Ihre Augen schimmerten wie zwei Topase, und nicht zum ersten Mal dachte er, dass ihr Blick so intensiv war wie Miriams, beinahe beängstigend. »Mit ihm ist meine Zukunft gestorben. Alles wäre gutgegangen. Wir wollten weggehen. Irgendwohin ins Ausland.«
    »Sie waren ein Paar?«
    »Ich habe ihn kurz nach meinem … Einzug kennengelernt.« Ihr Blick glitt zu der geöffneten Terrassentür, von wo sich ein abgezäuntes Wiesenstück bis zu einer Reihe Bäume zog, darüber der Himmel in einem hellen Blau. Entferntes Kinderlachen und Vogelgezwitscher drang zu ihnen. Es duftete nach Wald. »Ich habe sofort gesehen, dass er auf der Flucht ist. Dass er mehr in sich trägt als die üblichen Alltagsprobleme. Dass da ein Leid war, das sich nur denjenigen offenbaren konnte, die selbst tiefes Leid in sich tragen und bereit sind, hinzusehen und zuzuhören. Umgekehrt war es wohl genauso. Von einem Moment auf den andern hatten wir beide einen Menschen gefunden, dem wir uns nach Jahren anvertrauen konnten. Er hat mir von der kleinen Charlotte erzählt. Wie er mit dem Lastwagen durch den Regen gefahren ist und die Scheibenwischer geknackt haben, wie er den Song der Rolling Stones gesungen hat.«
    »I’m free to sing my song knowing it’s out of trend«, stimmte Ehrlinspiel an.
    »Ja, genau.« Sie lachte, und in ihrem Lachen lag eine Wehmut, die den Hauptkommissar anrührte. »Martin hat erzählt, wie sie aus der Einfahrt gerannt ist, von dem dumpfen Aufprall und dem Knacken. Wie ihr Schulranzen in den Himmel geflogen ist, rot und wie ein Vogel. Und wie seine Welt stehengeblieben ist.«
    »Und Sie haben ihm von Kurt Paschek erzählt.«
    »Wir haben uns ein paar Mal getroffen und geredet, einfach nur erzählt. Es war gut. Meistens sind wir im Park gegenüber vom
Frischeparadies
gewesen oder haben uns auf die Bank hinter der Kirche gesetzt. Manchmal auch ins Wartehäuschen
Technisches Rathaus.
Wir wollten nicht, dass im Haus … Sie kennen ja Frau Zenker. Bei der bleibt alles kleben und fließt dann in sämtliche Klatsch- und Tratschspalten.« Sie deutete auf den Kuchen, und fast hätte Ehrlinspiel laut gelacht.
    »Herr Gärtner hat gewusst, dass Sie nicht Miriams Mutter sind.«
    »Ich habe ihm vertraut.«
    »Und er hat sich in Sie verliebt.« Lachs. Sekt.
    »Ich glaube, ja.«
    »Und Sie?«
    Sie biss sich auf die Unterlippe. »Nein. Ich war … ich mochte ihn mehr als alle Menschen, die ich kannte. Er tat mir gut. Aber Liebe? So mir nichts, dir nichts nach fast dreißig Jahren Hölle? Dazu das ganze Chaos und mein falsches Leben … Es ist so grotesk. Ich war im Grunde das, was ich immer hatte sein wollen: eine kostümierte Frau in der Rolle einer anderen. Nur, dass ich nicht auf der Bühne stand.« Nach einer kleinen Pause sagte sie: »Vielleicht hätte ich ihn irgendwann geliebt, ja. Wahrscheinlich.«
    »Sie waren an seinem Todestag verabredet. Was wollten

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