Mein wundervolles Genom
Meine zufällige Biologie
Ich bin todmüde. In den letzten eineinhalb Stunden habe ich eine ganze Batterie von Tests absolviert, die Licht in meine Persönlichkeit, meine Veranlagungen, meine geistigen Fähigkeiten bringen sollen. Ich habe mich freiwillig für die Teilnahme an einem großen Forschungsprojekt gemeldet, bei dem es darum geht, die Verbindung zwischen bestimmten Genen und der Persönlichkeit zu untersuchen – konkret einer Neigung zu Depressionen. Endlich sind wir beim letzten Fragebogen angekommen. Eine junge Ärztin sitzt mir gegenüber und schaut mich aufmunternd an.
»Ich möchte Ihnen jetzt noch ein paar Fragen zu Ihren nächsten Angehörigen stellen – zu Drogen- und Alkoholmissbrauch, Kriminalität und psychischen Erkrankungen.«
Mit dem blonden Pferdeschwanz, der hin und her schwingt, wirkt sie selbstbewusst und kompetent.
»Es geht dabei nicht um Sie, sondern um Ihre Verwandten ersten Grades: Eltern, Geschwister und Kinder.«
»Ich habe keine Kinder.«
»Dann Eltern und Geschwister.«
»Meine Eltern sind tot, aber ich habe einen Bruder.«
»Es spielt keine Rolle, ob die Verwandten tot sind oder noch leben«, sagt sie. »Fangen wir mit Alkohol an. Hatte jemand von Ihren Verwandten ersten Grades Probleme mit Alkohol?«
»Probleme? Nun, also, ja, ich denke, das muss ich bejahen. Nach Lage der Dinge.«
»Ja ...?«
»Mein Vater. Man könnte sagen, er hatte gewisse Probleme mit Alkohol.«
Wenn jemand morgens mit Wodka im Kaffee beginnt und dann den ganzen Tag mit Bier weitermacht, könnte man von einem Alkoholproblem sprechen.
»Über lange Zeit?«
»So lange, wie ich denken kann. Aber er selbst hat es nicht als Problem angesehen. Er hat funktioniert.«
Sie blättert die erste Seite des Fragebogens um und folgt den Anweisungen.
»Führte der Alkoholmissbrauch zu Scheidung oder Trennung?«
»Ja.«
Sie schaut mich auffordernd an.
»Ja, dreimal. Scheidung.«
Ihre Augenbrauen schnellen nach oben.
»Nun, aha. Hat man ihn jemals von der Arbeit nach Hause geschickt, oder war er arbeitsunfähig?«
»Nein, nein.«
Natürlich nicht. Mein Vater war sein Leben lang ein sehr fähiger und pflichtbewusster Lehrer. Er hat seine Arbeit getan, unter allen Umständen.
»Da gab es keine Probleme«, sage ich und denke, dass das Schlimmste vorbei ist. Aber dann fragt sie:
»Gab es jemals Festnahmen oder Verurteilungen wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss?«
Ich halte kurz inne. »Einige. Aber ich weiß es nicht mehr genau.« Ich spüre den Drang, es zu erklären, zu verteidigen. Alles klingt auf einmal viel schlimmer, als ich es in Erinnerung habe.
»Es ist nie etwas passiert. Keine Unfälle, meine ich. Mein Vater war ein hervorragender Autofahrer, auch wenn er getrunken hatte. Er hatte nur das Pech, erwischt zu werden. Ein paar Mal.«
»Okay, gut. Dann sind wir durch mit Alkohol.« Mit einem optimistischeren Tonfall macht sie mit den Fragen weiter.
»Hat jemand von Ihren Verwandten ersten Grades psychische Probleme?«
»Ja«, antworte ich, ohne zu zögern.
Sie fordert mich auf, mehr dazu zu sagen.
»Alle.«
Sie murmelt etwas und blättert ratlos in ihren Papieren. » Alle? Okay, okay. Mit wem fangen wir an?«
Ich möchte hilfreich sein und zähle rasch auf: Als ich klein war, litt meine Mutter an Depressionen – schweren, behandlungsbedürftigen Depressionen, die in ihren letzten Lebensjahren besonders schlimm waren. Mein jüngerer Bruder hatte ebenfalls ein paar depressive Phasen, und bei meinem Vater wurde im Alter von sechzig Jahren eine manisch-depressive Erkrankung diagnostiziert, die inzwischen bipolare Störung heißt.
»Hatte er manische Phasen?«
»Das muss ich wohl bejahen.« Mir fällt ein, wie er einmal an Weihnachten, nachdem er eine Woche lang nicht geschlafen hatte, im Haus herumgeisterte, mit einer Steinzeitaxt in der einen und seiner zerlesenen Bibel in der anderen Hand. Er redete und redete, immer unzusammenhängender. Schließlich mussten wir ihn in eine Klinik bringen.
»Und Psychosen?«
Jetzt versteife ich mich. Wir sind doch keine Familie von Verrückten.
» Nein. Nichts in der Art«, antworte ich. »Außer vielleicht ... Es gab ein paar Vorfälle, da glaubte mein Vater, jemand würde nachts im Gartenhaus herumschleichen und seine Werkzeuge stehlen. Und einmal glaubte er, aus den Heizungsrohren würde jemand zu ihm sprechen, aber das war nur ganz kurz. Mit ein bisschen Zyprexa war es schnell wieder verschwunden.«
Sie schaut auf ihren Block und notiert etwas.
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