Meine 500 besten Freunde
wie er selbst ihn in den frühen Achtzigern manchmal beim Ausgehen trug, es damals allerdings durchaus ironisch meinend, wohingegen er sich nicht sicher ist, in welcher Geisteshaltung sich Meynhardi den Hut auf den Kopf gesetzt haben mag. Womöglich trug man das heute wieder so? Als er den Wagen anhält, sagt Luise, dass der Hut ja wohl lächerlich aussähe, und Theodor stimmt ihr zu.
Während der Fahrt zum Veranstaltungsort sagt Luise dann kein Wort, sondern guckt nur aus dem Fenster, was Theodor aber erst auffällt, als sie schon fast angekommen sind. Er schreibt dies dem Umstand zu, dass er und Meynhardi die ganze Zeit hindurch über Redaktionsdinge gesprochen haben. Erst ging es um den Artikel, den der andere morgen im Blatt hat (eine Glosse über einen Produzenten, der nun schon die zweite Fortsetzung seines Erfolgs von vor einigen Jahren dreht, trotz hundsmiserabler Kritiken hatten alle jeweils über eine Million Zuschauer, worüber sie sich über mehrere Kilometer hinweg wunderten); dann ging es um eine neue Serie im Wirtschaftsteil, die beide ganz ordentlich finden; schließlich um die Konkurrenz, die nicht schläft, wie sie sich gegenseitig versichern. Erst ganz zuletzt, und zwar kurz bevor er das Schweigen seiner Frau bemerkt, fällt Theodor ein, dass nicht nur er, sondern auch Meynhardi am heutigen Abend für eine Edelfeder nominiert ist, allerdings in einer anderen Kategorie, und er macht eine freundliche Bemerkung.
Theodor selbst ist mit einem Text im Rennen, in dem es um das veränderte Selbstbild der Deutschen geht, und er ist stolz darauf, Fußball darin nicht erwähnt zu haben. Meynhardi ist für sein Portrait eines Kunstsammlers nominiert, der im vergangenen Jahr unter großem Medieninteresse einen Mann geheiratet hat. Die beiden hatten in schneller Folge drei ausländische Kinder adoptiert und waren dadurch in die öffentliche Kritik geraten. Wie es angehe, so der allgemeine Tenor, dass Prominente so leicht adoptieren könnten, wo die Prozedur bei Normalbürgern oft Jahre dauere – natürlich hatten sich auch homophobe Klänge in die Diskussion gemischt. »Der Übervater« hatte Meynhardis Text geheißen, ein einfühlsames Portrait, und Theodor erinnert sich, den Artikel gar nicht so schlecht gefunden zu haben. Dass er von einer Jury für preiswürdig gehalten wurde, hatte ihn dann aber doch überrascht.
Nachdem sie auf das Grundstück gefahren sind, auf welchem sich der Flugzeughangar dem Navigationssystem zufolge befand, und von einer Hostess einen Parkplatz zugewiesen bekommen hatten, schlendern die drei, fast schon wie eine kleine Gruppe (so kommt es Theodor jedenfalls vor, dem Meynhardi während der Autofahrt immer sympathischer geworden ist), gemächlich zum Ort des Geschehens, einem klobigen Bauwerk aus der Nazizeit. Der Säuleneingang ist mit Plakaten geschmückt, auf denen in Neonfarben der Titel der Veranstaltung steht: »Edelfeder 2013«. In ebenso großen Lettern steht darüber der Name des Hauptsponsors, eines Brillenherstellers, der, wie Meynhardi vermutet, mit dieser Veranstaltung aus der Sportmoden-Ecke herauszukommen versucht. Darunter stehen einige andere Sponsorennamen, ein Zigarettenhersteller, ein Berliner Restaurant sowie eine Boulevardzeitung. Theodor, der zweimal vergeblich nach der Hand seiner Frau gegriffen hat, ist mittlerweile zu dem Schluss gekommen, dass der Hut, mit dem sein Kollege hier auftritt, ein wenig deplatziert, ja, arg bemüht wirkt. Tucholsky ist tot, und mit ihm der huttragende Journalist, dies ist sein abschließender Gedanke zu diesem Thema. Im Gedränge vor dem Eingang, an dem sie von jungen Damen ein fliederfarbenes Plastikarmbändchen ums Handgelenk geschnallt bekommen, geht Meynhardi verloren, was Luise mit einem erleichterten Seufzer kommentiert. Offenbar hält sie ihn für einen Idioten, ahnt Theodor, und wer weiß, vielleicht hatte sie recht, denn sie pflegte oft recht zu haben, weshalb er vor langer Zeit damit aufgehört hat, ihr zu widersprechen.
Folgenden Personen nickt er im Vorbeigehen zu, wobei er sich wieder fühlt wie Cassius Clay auf dem Weg in einen Kampf:
– einem als schwierig bekannten Schriftsteller mit einem unaussprechlichen osteuropäischen Namen, der Theodor jedoch stets liebenswürdig gegenübertritt
– einem langhaarigen Filmregisseur, der Mitte der achtziger Jahre (damals noch kurzhaarig) einen Film gedreht hat, der unter den Film-Experten in Theodors Bekanntenkreis als Meisterwerk gilt, eine Art »Außer Atem«,
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