Meine 500 besten Freunde
meinen vollen Namen. Beim Lächeln schließe ich die Augen eine Hundertstelsekunde länger, als es normal wäre, es soll beschwichtigend, wohlmeinend, gütig aussehen. Der Regisseur findet gleich die erste Aufnahme einen »Hammer«, und ich kriege vom ganzen Team Applaus. Die nächste Regieanweisung lautet: würdevoll schüttelt sie seine Hand . Ich kriege eine Großaufnahme. A. spielt schön mit, aber ich brauche seine Reaktionen nicht. Ich weiß, was zu tun ist, instinktiv. Naturbegabung, ja, ich weiß. Delia Naters, das muss man ihr lassen, ist ein ausgezeichnetes Publikum. Ihre Konzentration spornt mich zu Höchstleistungen an. Bittesehr, nun deute ich einen Knicks an, nehme meinen unsichtbaren Hut, den ich zuvor gezogen hatte, empfehle mich höflich und lasse die Herrschaften, noch einen schönen Abend wünschend, allein. Kurz herrscht ergriffenes Schweigen, die schönste Belohnung, die es für uns Schauspieler gibt. Dann erneut Szenenapplaus, vor allem der Kameramann ist ganz aus dem Häuschen, und der Produzent weist die Drehbuchautoren an, sich noch diese Nacht an eine neue Fassung zu setzen, in der meine Rolle größer angelegt ist. All das kriege ich nur am Rande mit, bin noch nicht ganz wieder in der Realität, auch das vollkommen normal in unserem Beruf. Da saß jetzt aber wirklich alles, jeder Blick, jede Geste, das war sehr genau gearbeitet, ich gestatte mir ein wenig Stolz. Zufrieden, wenn auch innerlich seltsam leer, trete ich in die Nacht hinaus. Draußen herrscht reges Treiben, die Statisterie ist gerade im Gehen. Ich möchte jetzt allein sein, möchte nicht angesprochen werden, natürlich enttäuscht das die Wartenden, die zum Teil schon in den frühen Morgenstunden angereist sind, um einen Blick auf mich zu erhaschen, aber ich kann darauf im Moment keine Rücksicht nehmen und eile, den Kopf gesenkt, ums Gebäude zu den Ställen. Leise, um den Kutscher nicht zu wecken, der über seinem Kartenspiel eingeschlafen ist, gurte ich eins der Pferde ab und reite es ohne Sattel nach Hause. Dort angekommen, schenke ich dem Tier seine Freiheit. Es sieht mich traurig an, bevor es von dannen trabt. Titus schläft schon, als ich mich neben ihn lege.
Am nächsten Tag steht nichts in der Zeitung.
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FEUILLETON-DEPRESSION
Es war fast Februar, fast Berlinale also, denn im Februar war Berlinale, so wie im Mai Cannes war, im August Venedig, im Herbst die Buchmesse, und dann kamen auch schon die Best-of-Listen für Weihnachten, der Jahresrückblick zu Neujahr, dann war wieder Berlinale. So sahen damals meine Jahre aus. Nicht, dass ich überall hingefahren wäre, ganz im Gegenteil, ich saß in Mitte fest, aber ich arbeitete in einem Feuilleton, dem Teil einer Zeitung 1 , in dem es um Kultur gehen sollte, wenngleich dort meistens lediglich das Assoziationsvermögen der jeweiligen Redakteure vorgeführt wurde, die – je nach Studium – in allem, was auf der Welt geschah, genau das erkannten, was sie eben kannten, eine Herangehensweise, die schon damals nicht mehr in die Zeit passte, deren Dramen und Tragödien viel zu konkret geworden waren, um in Glossen, Meinungsstücken oder Debatten verhandelt zu werden.
Einige der Fragen, die in den Redaktionskonferenzen immer wiederkehrten, markierten in ihrer Wiederholung das Verstreichen der Jahre so unerbittlich wie sonst nur Geburtstage: Was machen wir zu Klagenfurt? Hat jemand eine Meinung zum Dschungel Camp? Paul Weller hat eine neue Platte, irgendjemand Interesse an einem Interview? Nüchtern war das alles eigentlich nicht zu ertragen. Doch leider war ich immer nüchtern, zumindest tagsüber in der Redaktion. Und deshalb war ich zu dieser Zeit in Gefahr, ernsthaft an einem Syndrom zu erkranken, das man später, mit leicht wehmütigem Unterton, »Feuilleton-Depression« nennen sollte, eine Art vorzeitiger Verschleiß der Nerven, der nach der Jahrtausendwende vor allem in den europäischen Hauptstädten um sich griff und sich in Müdigkeit, Mattheit und einem Gefühl innerer Leere niederschlug, sowie der als real empfundenen Annahme, vollkommen allein auf der Welt zu sein.
Damals jedoch dachte ich, ich wäre einfach nur erschöpft. Jeden Tag Konferenz, das dauernde Hin und Her zwischen Wirklichkeit und Internet, das ständige Gefühl, nichts verpassen zu dürfen, als wäre alles, was geschah, wirklich wichtig, hätte eine Bedeutung, die darüber hinausgehen würde, denen, die darüber schrieben, ein Gefühl von Wichtigkeit zu verleihen. Es war zu dieser Zeit,
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