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Meine 500 besten Freunde

Meine 500 besten Freunde

Titel: Meine 500 besten Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Adorján
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als ein neuer Mieter bei mir ins Hinterhaus zog, ein großer Mann mit Bart und langen Haaren, die er zu einem Zopf trug, dessen dünnes Ende unter seinem Baseballkäppi heraushing. Ich habe ihn als schlecht riechend in Erinnerung, obwohl ich mich nicht an irgendeinen bestimmten Geruch entsinnen kann, möglich also, dass dieser Eindruck nur seiner nachlässig wirkenden Erscheinung geschuldet ist. In meiner Erinnerung sehe ich ihn meistens von hinten, in einem langen schwarzen Mantel, eher einem Trenchcoat, durch den Flur hastend, die lange Gestalt leicht nach vorne gebeugt, als habe er es eilig. Anfangs grüßte ich ihn noch, in Ermangelung einer Erwiderung ließ ich es irgendwann sein. Ich würde gerne sagen, es war mir egal, doch die Wahrheit ist, dass ich verärgert war. Ohnehin hatte ich es nicht gerne, wenn neue Mieter in das Haus zogen, in dem ich damals bereits so lange wohnte, dass ich es als meins betrachtete, auch wenn ich darin nur eine bescheidene Wohnung im ersten Stock Vorderhaus mietete.
    Dem kleinen Schild, das bald auf seinem Briefkasten klebte – es war kein gedrucktes wie bei uns anderen, sondern ein vorläufig wirkendes, in krakeligen Druckbuchstaben selbst geschrieben und mit Tesafilm befestigt –, entnahm ich, dass er Ebbinghaus hieß. Der Name sagte mir etwas, vage ordnete ich ihn dem Kulturbetrieb zu. Ich muss gestehen, dass ich erst im Internet nachsehen musste, um zu wissen, wer mein n Vetweuer Nachbar war: Thomas Ebbinghaus, 1954 in Stuttgart geboren, Filmproduzent. Auf den Fotos, die ich von ihm fand, sah er jünger aus, auf einigen lachte er.
    Als ich unseren Filmredakteur nach ihm fragte, schien dieser wie elektrisiert. Ebbinghaus, Thomas Ebbinghaus, ob ich wirklich sicher sei, fragte er. Er sagte, Ebbinghaus sei eine Legende, und er habe sich oft gefragt, was wohl aus ihm geworden sei. Er schlug vor, ich solle ein Portrait über ihn schreiben, wollte mich überreden, ihn gleich beim nächsten Zusammentreffen nach einem Interviewtermin zu fragen. Offenbar hatte sich Ebbinghaus in den frühen achtziger Jahren in München einen Namen gemacht, hatte aufregende Filme produziert, deren Titel meinem Kollegen allerdings auf die Schnelle nicht einfielen. Während des Komödienbooms sei er in Vergessenheit geraten, sein Stil, den er mir als »komplett durchgeknallt, aber in gut« und »auf der Kippe zum Wahnsinn« beschrieb, sei aus der Mode gekommen. Wie so viele sei er dann zum Fernsehen gewechselt. Eine Serie, die vielversprechend startete, wurde nach der ersten Staffel eingestellt. Der Name Edgar Reitz fiel als Vergleichsgröße, was mir verkehrt vorkam, ohne dass ich widersprach.
    In jener Nacht lag ich lange wach, malte mir aus, welche Wellen ein von mir geschriebenes Ebbinghaus-Portrait schlagen würde, sogar Überschrift und Vorspann hatte ich schon: Die Legende lebt – Thomas Ebbingshaus, Genie und Phantom des deutschen Films meldet sich aus der Versenkung zurück . Ich hatte zu diesem Zeitpunkt lange nichts Größeres veröffentlicht, war dringend auf der Suche nach einem Thema, und die Vorstellung, mich mit einem solchen Scoop, der es ja offenbar wäre, wieder zurück ins Spielfeld zu katapultieren, erschien mir unendlich verlockend. Gleichzeitig missfiel mir die Vorstellung, Ebbinghaus im Hausflur ansprechen zu müssen. Ich sah schon den Blick, mit dem er mich abstrafen würde für diese Grenzübertretung, die es ja auch in meinen Augen wäre und die zur Folge hätte, dass von da an jeder Gang durchs Treppenhaus von der Hoffnung begleitet wäre, ihm nicht zu begegnen. Gut, aber diesen Preis war ich zu zahlen bereit, und wer weiß, vielleicht wäre Ebbinghaus ja geschmeichelt, vielleicht wartete er nur darauf, erkannt und angesprochen zu werden, sehnte sich nach öffentlicher Anerkennung, auch er.
    Als ich in jener Nacht endlich einschlief, hatte ich einen sonderbaren Traum, den ich am nächsten Morgen, noch leicht benommen, in meinem Tagebuch notierte und hier in Gänze wiedergebe. Ich war in der Jury eines Literaturwettbewerbs und hatte die Aufgabe, die Juryentscheidung zu verlesen. In die Schlussauswahl hatten es drei Autoren geschafft. Autor 1 hatte verblüffend einhellig nur positive Rezensionen bekommen. Und zwar rätselhafterweise alle auf Englisch. Der zu verlesende, ihn betreffende Text bestand beinahe ausschließlich aus Zitaten der einzelnen Jurymitglieder: »carefully coloured language«, »like watercolors«, »with delicate colouring«, »beautyfully coloured text«.

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