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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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drei und sagte mit frohlockender Teilnahmslosigkeit:
    »Ein Vorfahr von mir.«
    Ich legte meinen Finger auf einen der Richter und erwiderte mit ätzender Gleichgültigkeit:
    »Ein Vorfahr von mir. Aber das ist nicht weiter wichtig. Ich habe auch noch andere.«
    Das war nicht sehr edel von mir. Ich habe es seitdem immer bereut. Aber ihm haftet es nun an. Ich frage mich, wie ihm wohl zumute war. Unsere Freundschaft allerdings beeinträchtigte es in keiner Weise, was beweist, dass er, ungeachtet seiner bescheidenen Herkunft, großherzig war. Und mir selbst rechnete ich es hoch an, dass ich darüber hinwegsehen konnte. Ich änderte mein Verhalten ihm gegenüber nicht, sondern behandelte ihn stets als ebenbürtig.
    In einer Hinsicht jedoch war es ein schwieriger Abend für mich. Wie Graf S. hielt Mr. Phelps mich für den Ehrengast; ich aber hielt mich nicht dafür,denn in meiner Einladung stand nichts, was darauf hindeutete. Es war lediglich eine freundliche ungezwungene Mitteilung auf einer Karte. Als man uns zum Essen rief, wurde auch Phelps von Zweifeln heimgesucht. Etwas musste unternommen werden, doch es war nicht der Moment für Erklärungen. Er versuchte, mich dazu zu bringen, mit ihm den Anfang zu machen, aber ich zögerte; dann versuchte er es mit S., doch auch dieser lehnte ab. Es gab noch einen weiteren Gast, der keine Anstalten machte. Schließlich begaben wir uns alle auf einmal zu Tisch. Jeder stürzte – sehr schicklich – auf einen Sitzplatz zu. Ich ergatterte den links von Mr. Phelps, der Graf eroberte den gegenüber von Phelps, und der andere Gast musste den Ehrenplatz einnehmen, ihm blieb nichts anderes übrig. In der ursprünglichen Unordnung kehrten wir in den Salon zurück. Ich trug neue Schuhe, die mir zu eng waren. Um elf weinte ich innerlich, ich konnte nichts dagegen tun, so entsetzlich waren die Schmerzen. Die Unterhaltung war schon eine Stunde zuvor erlahmt. S. wurde seit halb zehn am Bett eines sterbenden Offiziers erwartet. Schließlich erhoben wir uns aus
einem
unerklärlichen Impuls heraus und gingen ohne Worte hinunter zur Haustür – alle auf einmal, ohne jemandem den Vortritt zu lassen; und so trennten wir uns.
    Der Abend hatte seine Mängel, ich aber hatte einen Vorfahren erwähnt und war zufrieden.
    Zu den Clemens in Virginia gehörten auch der bereits erwähnte Jere und Sherrard. Jere Clemens genoss weithin den Ruf, ein guter Pistolenschütze zu sein, und einmal versetzte ihn das in die Lage, sich bei einigen Trommlern beliebt zu machen, die beschwichtigenden Worten und Argumenten allein keine Beachtung geschenkt hätten. Zu der Zeit befand er sich auf Wahlkampfreise durch den Staat. Die Trommler hatten sich vor der Tribüne postiert und waren vom Gegner angeheuert worden, um zu trommeln, während er seine Rede hielt. Bevor er begann, zog er seinen Revolver, legte ihn vor sich hin und sagte auf seine sanfte, einschmeichelnde Art:
    »Ich möchte niemandem etwas zuleide tun und werde versuchen, es zu vermeiden; aber ich habe genau eine Kugel für jede dieser sechs Trommeln, und falls Sie darauf trommeln wollen, sollten Sie besser nicht dahinter stehen.«
    In den Tagen des Bürgerkriegs war Sherrard Clemens republikanischer Kongressabgeordneter von West Virginia, anschließend zog er nach St. Louis, wo der James-Clemens-Zweig der Familie lebte und noch immer lebt, und dort wurde er ein hitziger Rebell. Das war nach dem Bürgerkrieg. Als er Republikaner war, war ich Rebell; doch als er Rebell geworden war, war ich (vorübergehend) Republikaner geworden. Die Clemens haben stets ihr Bestes getan, um die politische Waagschale auszubalancieren, ganz gleich, welche Umstände es ihnen bereiten mochte. Ich wusste nicht, was aus Sherrard Clemens geworden war, doch einmal stellte ich Senator Hawley bei einer republikanischen Großveranstaltung in Neuengland vor, und danach erhielt ich einen verbitterten Brief von Sherrard aus St. Louis. Er schrieb, die Republikaner des Nordens – nein, die »Drecksuhler des Nordens« – hätten die alte Aristokratie des Südens mit Feuer und Schwert weggefegt und es stünde mir, einem Blutaristokraten, schlecht an, mit solchen Schweinen zu verkehren. Ob ich vergessen hätte, dass ich ein Lambton sei?
    Dies war ein Verweis auf die Familie meiner Mutter. Wie schon gesagt, sie war eine Lambton – Lambton mit
p,
doch in der Frühzeit konnten einige der amerikanischen Lamptons nicht gut buchstabieren, und ihretwegen litt der Name Schaden. Sie kam aus Kentucky,

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