Meine geheime Autobiographie - Textedition
und 1823, als sie zwanzig Jahre alt war und er vierundzwanzig, heiratete sie meinen Vater in Lexington. Keiner von beiden besaß überschüssiges Eigentum. Sie brachte zwei oder drei Neger mit in die Ehe, sonst nichts, glaube ich. Sie zogen sich in das abgeschiedene Dorf Jamestown in der Einsamkeit der Berge von East Tennessee zurück. Dort kam ihre erste Ausbeute an Kindern zur Welt, da ich aber ein jüngerer Jahrgang bin, kann ich mich daran nicht erinnern. Ich wurde zurückgestellt – zurückgestellt bis Missouri. Missouri war ein unbekannter neuer Staat und benötigte Attraktionen.
Ich glaube, mein ältester Bruder Orion, meine Schwestern Pamela und Margaret und mein Bruder Benjamin kamen in Jamestown zur Welt. Vielleicht noch andere, aber da bin ich mir nicht sicher. Dass meine Eltern dorthin gezogen waren, gab dem kleinen Dorf mächtig Auftrieb. Man hoffte, sie würden bleiben, damit aus dem Dorf eine Stadt würde. Man nahm an, sie würden bleiben. Und so kam es zu einem regelrechten Aufschwung; dochnach einer Weile zogen sie wieder fort, die Preise verfielen, und es dauerte viele Jahre, bis Jamestown ein Neuanfang gelang. Im
Vergoldeten Zeitalter
, einem meiner Bücher, habe ich über Jamestown geschrieben, aber das beruhte auf Hörensagen, nicht auf persönlicher Kenntnis. Mein Vater ließ in der Gegend um Jamestown ansehnliche Ländereien zurück – 75 000 Morgen. 1 Als er 1847 starb, waren sie seit rund zwanzig Jahren in seinem Besitz. Die Steuern waren sehr gering (fünf Dollar im Jahr für alles), und er hatte sie regelmäßig entrichtet und seinen Besitzanspruch gewahrt. Er hatte immer gesagt, zu seinen Lebzeiten werde das Land bestimmt nicht mehr wertvoll, irgendwann aber werde es eine komfortable Rücklage für seine Kinder darstellen. Es barg Kohle, Kupfer, Eisen und Holz, und er sagte, im Laufe der Zeit werde die Eisenbahn in diese Region vordringen, und dann werde sein Eigentum nicht nur dem Namen nach, sondern auch der Sache nach Eigentum sein. Auch eine vielversprechende wilde Rebe brachte das Land hervor. Einige Proben davon hatte er Nicholas Longworth in Cincinnati zugeschickt, um dessen Urteil einzuholen, und Mr. Longworth hatte geantwortet, es ließe sich daraus genauso guter Wein keltern wie aus seiner Catawba-Rebe. All diese Reichtümer bot das Land, dazu noch Öl, aber das wusste mein Vater nicht, und selbst wenn er es gewusst hätte, hätte er sich natürlich in jenen frühen Jahren nichts daraus gemacht. Das Öl wurde erst um 1895 entdeckt. Ich wünschte, mir gehörten jetzt ein paar Morgen von diesem Land, dann würde ich nicht Autobiographien schreiben, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Der Auftrag meines sterbenden Vaters lautete: »Haltet an dem Land fest und wartet ab; lasst euch durch nichts dazu verlocken, es aufzugeben.« Der Lieblingscousin meiner Mutter, James Lampton, der im
Vergoldeten Zeitalter
als Colonel Sellers auftritt, sagte von diesen Ländereien immer – und sagte es mit flammender Begeisterung: »Die sind Millionen wert – Millionen!« Zwar behauptete er das von allem und jedem – und irrte immer; diesmal jedoch sollte er recht behalten, was beweist, dass ein Mann, der mit einem Prophezeiungsgewehr umherläuft, niemals entmutigt werden sollte: Wenn er seinen Mut behält und auf alles schießt, was sich ihm bietet, wird er mit Sicherheit irgendwann einen Treffer landen.
Viele Menschen hielten Colonel Sellers für eine Fiktion, eine Erfindung, eine extravagante Unmöglichkeit und erwiesen mir die Ehre, ihn eine »Schöpfung« zu nennen, aber sie irrten. Ich habe ihn nur so zu Papier gebracht, wie er war; er war kein Mensch, der übertrieben werden konnte. Die Vorfälle, die am extravagantesten wirkten, im Buch wie auf der Bühne, waren keine Erfindungen von mir, sondern Tatsachen aus seinem Leben, und ich war dabei, als sie sich zutrugen. John T. Raymonds Publikum wäre vor Lachen über die Steckrübenszene fast gestorben; aber so extravagant die Szene auch sein mochte, sie entsprach doch in all ihren absurden Einzelheiten den Tatsachen. Die Sache geschah in Lamptons eigenem Haus, und ich war dabei. Ja, ich selbst war der Gast, der die Steckrüben verzehrte. In den Händen eines großen Schauspielers hätte diese jammervolle Szene die Augen auch noch des männlichsten Zuschauers mit Tränen getrübt, vor Lachen hätten ihm die Rippen weh getan. Aber groß war Raymond nur in humorvollen Darstellungen. Darin war er ausgezeichnet, wunderbar – mit
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