Meine Kinderjahre
Sie
wollten
es auch nicht sein; alles Solidesein war langweilig und philiströs. Natürlich schlug oft die Stunde, wo diese beständig vom glücklichen Zufall abhängigen Hazardeure bei der Schönebergschen Solidität Hilfe suchten, und diese Stunde des Hilfesuchens hätte wohl noch öfter geschlagen, wenn nicht der vorsichtige alte Handelsherr, so gern er sonst half, den gewohnheitsmäßigen Vabanquespielern gegenüber eine weise Zurückhaltung beobachtet hätte. Diese Tugend klug erwägender Zurückhaltung war wohl im Zusammenhang damit, daß die Schönebergs keine baltischen Pommern, sondern echte Kinder unserer Mark waren, was sich mir aus ausgangs des vorigen Jahrhunderts von einem Mitgliede der Familie gemachten Tagebuchaufzeichnungen ergibt.
Danach stammten die Schönebergs aus Berlin, wo zu Zeiten des ersten Königs und unter dessen Nachfolger der Ahnherr des nach Pommern hin verschlagenen Zweiges der Familie wohnte. Derselbe war Servicerendant und Kirchenvorsteher an der Marienkirche. Sein Sohn trat dem Kirchlichen noch näher und wurde Prediger zu Biesdorf, wenige Meilen von Berlin, wo ihm von seiner Frau, geb. Meerkatz, fünfzehn Kinder geboren wurden. Einer der Söhne, Kaufmann geworden, ging als solcher erst nach Stargard, dann nach Swinemünde, woselbst er Ende des vorigen Jahrhunderts ein schon in gutem Ansehen stehendes Geschäft erwarb. Es gelang ihm, dies Ansehn zu steigern, aber die volle Blüte stellte sich doch erst unter seinem ältesten Sohn, Heinrich August, ein, geboren 1776, gestorben 1855.
Dieser Heinrich August hieß, als wir 1827 nach Swinemünde kamen, bereits der
»alte Schöneberg«,
was insoweit ganz in der Ordnung war, als ihm, dem freilich erst Einundfünfzigjährigen, bereits ein junger Schöneberg im Geschäft zur Seite stand. Dies Schönebergsche Geschäftshaus war ein großes Eckhaus am Marktplatz, und meine Mutter, wenn es sich um Einkäufe handelte, dahin begleiten zu dürfen, gewährte mir jedesmal eine große Freude. Was ich da sah, war mir eine fremde Welt. In Ruppin gab es natürlich auch Kaufläden, in denen man in dem einen allerlei Kolonialwaren, in dem anderen Tuch oder Leinwand und in einem dritten irdenes Geschirr kaufen konnte. Diese Läden aber hatten samt und sonders etwas Kleines und Spießbürgerliches, das der Phantasie nirgends Nahrung gab, und wenn es gar Winter war, so konnten einem die armen halberfrorenen Lehrlinge mit ihren braunen Pulswärmern und den Handschuhen ohne Finger vollends die Freude verderben. Von all diesem Unschönen war hier in Swinemünde keine Rede. Der Schönebergsche Laden – der sehr im Pluralis auftrat, denn es war eine ganze Reihe von Läden – barg eine Welt der verschiedensten Dinge, was wohl in dem regen Seeverkehr der Stadt seinen Grund hatte. Wenn ein Schiffskapitän hier eintrat, der seine Brigg zu einer Fahrt um Kap Hoorn herum ausrüsten wollte, so fand er hier alles, was er brauchte: Kompaß und Barometer für sein Schiff, Frieshemden und wollene Mützen für seine Matrosen, vor allem aber auch allerhand feine Dinge für sich selbst; dazu Geschirr für Küche und Kajüte. Das Geschirr buntester und mannigfachster Art bildete, so jung ich war, doch schon damals einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit für mich, teils um seiner geschmackvollen Formen und Ornamente, teils um seines Materials willen. In unserem Binnenlande, trotz vereinzelter Bemühungen, es zu bessern, lagen alle diese Dinge noch sehr im argen, und braunes »Bunzlau« beherrschte vorwiegend den Markt, was sich hier in dem Schönebergschen Laden aber meinem Auge bot, war ausschließlich englisches Geschirr, vieles in Fayence (sog. Wedgwood), andres in Britannia-Metall. Ich war immer helles Staunen und Bewunderung, und nicht bloß dem zu Kauf Stehenden, sondern auch den die Honneurs des Hauses machenden Verkäufern gegenüber, Vater und Sohn. Der Vater, noch ein schöner Mann, exzellierte gleichmäßig in Umgangsformen und weißester Wäsche, während sein Sohn, auf den sich von der Mutter her eine das Kränkliche streifende Zartheit vererbt hatte, diese Zartheit durch etwas sehr Bestimmtes in seinem Wesen wieder wettzumachen wußte. Dezidiert und verbindlich zugleich, diese Charaktermischung war es denn auch, die ihn, mehr noch als sein Reichtum, das schönste Mädchen der Stadt heimführen ließ, eine leuchtende, echt germanische Blondine, einzige Tochter des im übrigen mit Söhnen beinah allzureich gesegneten Scherenbergschen
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