Meine Kinderjahre
Schreiberei, dazu waren die Sekretäre da; Sicherheit des Auftretens, gute Nerven und Frühstücksstimmung, das war das, worauf es ankam. Von dieser Anschauung und Richtung war denn auch der neue Schiffahrtsdirektor. Als er sich eingeführt hatte, sah man sofort, daß man ihn falsch taxiert habe, was indessen die Stimmung gegen ihn nicht besserte. Vom grünen Tisch war er nicht, er war umgekehrt Lebemann und ganz und gar darauf aus, in kluger Weise die Dinge zu seinem Vorteil zu gestalten. Das war etwas durchaus anderes, aber in den Augen der regierenden Klasse mindestens ebenso gefährlich oder vielleicht noch gefährlicher. Es galt also, ihn in Schach zu halten, was seiner Gewandtheit und Schlagfertigkeit gegenüber nicht ganz leicht war. Endlich indessen fand sich die Gelegenheit dazu. Bauer, ganz Autodidakt, hatte die Schwäche aller Autodidakten, sich auf »Bildung« hin ausspielen und in Fremdwörtern exzellieren zu wollen. Eine Weile ging das. Mit einemmal aber schlug seine Stunde, und das irrtümlich angewandte Wort »Triumph« wurde zum Triumph für seine Gegner. Er ließ nämlich einen Wohltätigkeitsaufruf drucken, darin in klug berechneter Huldigung gegen die drei reichsten und angesehensten Familien Swinemündes von dem
»Triumphirate
der Stadt« gesprochen wurde. Da hatten sie ihn, er war entdeckt. An dem unglücklichen »ph« war seine Macht gescheitert. Ähnliche Menschlichkeiten folgten, und das eine Zeitlang um sein Ansehen besorgt gewesene Honoratiorentum führte nun das bis dahin so stolze Roß ruhig und sicher am Zügel. Man ließ ihm seine Rodomontaden und war zufrieden, ihn in seinen eigenen Augen einigermaßen entgöttert zu haben. Bauer – der übrigens zwanzig Jahre später (1848) als demokratischer Krotoschiner Bürgermeister noch einmal eine kurze Weile geglänzt haben soll – war einfach Mensch geworden, und der alte Swinemünder Ton konnte wie vordem unbehindert weiterherrschen.
Unter denen, die diesen alten Ton in seiner kräftigsten Urgestalt repräsentierten, stand Konsul
Thompson
obenan. Er bewohnte ein großes Haus am Markt, ein Haus mit drei Fronten, an deren einer sein kleiner Kaufladen lag, denn, wie bei allen Konsuln, so durfte auch bei ihm der Laden nicht fehlen. Warum alle so sehr darauf hielten, weiß ich nicht, da, wie mir scheinen will, der Ertrag dieser Läden nur unbedeutend sein konnte. Thompson, damals ein Mann von Mitte Vierzig, glich für gewöhnlich dem »deutschen Herrn«, dem Tiefenbach in den Piccolominis, verstand es aber, wenn es paßte, den gemütlichen Tiefenbach in den rücksichtslosesten Illo zu verkehren. Klug, humoristisch, voll Schlagfertigkeit, war er immer noch sehr beliebt und einflußreich, trotzdem er den unter dem Ansehen einer anderen und geschulteren Familie seit etwa fünfzehn Jahren immer maßvoller gewordenen Stadtton nicht mehr ausschließlich bestimmte. Nur im Bowlebrauen war er unbestrittener Herrscher geblieben.
In einer Art Gegensatz zu ihm stand Kaufmann
Schultze,
der, was Thompson in steifem Grog leistete, seinerseits in matter Limonade war. Aber eben deshalb war er wie geschaffen zum Ballarrangeur und Vergnügungsdirektor, und der sentimentalere Teil der Damenwelt verzog ihn ganz ungebührlich, besonders weil er nebenher auch noch des Vorzugs genoß, der einzige Tenor der Stadt zu sein. Um seinen etwas müde dreinschauenden Kopf lag immer ein Ausdruck höherer Weihe. Dabei hielt er sich für die Swinemünder für zu schade. Wenn ich mir jetzt sein Bild zurückrufe, kommt es mir vor, als hätt ich zu bestimmten Epochen meines Lebens eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm gehabt. – Tenor oder Lyrik macht wenig Unterschied.
Siebentes Kapitel
Die Schönebergs und die Scherenbergs
Unter den im vorigen Kapitel kurz skizzierten Familien, wie angesehen die eine oder andere derselben auch sein mochte, befand sich keine, die gesellschaftlich den Ton angegeben hätte. Näher dieser Aufgabe kamen
die
zwei Familien, beide Kaufmannsfamilien, die uns in diesem Kapitel beschäftigen sollen: die Schönebergs und die Scherenbergs.
Zunächst die
Schönebergs.
In Swinemünde selbst ist gegenwärtig der Name erloschen, aber während jener Jahre, von denen ich hier zu erzählen habe, war der alte Schöneberg zwar nicht der hervorragendste, klügste und vornehmste, wohl aber der reichste Mann der Stadt. Und zwar der
wirklich
reichste. Denn sein Besitz war solide, was man dem Reste der Swinemünder Honoratiorenschaft nicht nachrühmen konnte.
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