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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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genommen gut, weit über unsern Stand und unsere Verhältnisse hinaus. Allerdings schoben sich, speziell auf das Küchendepartement hin angesehen, auch sonderbare Zeitläufte mit ein, so beispielsweise, wenn wir in Sommertagen wegen überreichen Milchertrages wochenlang im Zeichen der Milchsuppe standen. Alles streikte dann, Appetitlosigkeit vorschützend.
    Aber das waren doch nur kurze Ausnahmezustände, für gewöhnlich wurden wir gut und zugleich sehr verständig verpflegt, was wir mehr noch als meiner Mutter unserer Wirtschaftsmamsell, einer Mamsell Schrödter, zuzuschreiben hatten. Von dieser muß ich, ehe ich weitergehe, berichten. Als wir in Swinemünde eintrafen, war meine Mutter, wie schon in einem früheren Kapitel erzählt, einer Nervenkur halber in Berlin zurückgeblieben, und die Frage trat gleich nach unserer Ankunft an meinen Vater heran, wer inzwischen die Wirtschaft führen solle. Lokalzeitungen gab es nicht, also mußte mündlich herumgefragt werden, und schon wenige Tage später traf ein von einem Boten überbrachter Brief aus der Pudaglaschen Oberförsterei bei uns ein, worin der Oberförster Schrödter anfragte, ob sich seine Schwester uns vorstellen dürfe, sie habe die Wirtschaft in seinem Hause gelernt. Mein Vater antwortete sofort zustimmend und war zwei Tage lang glücklich in der Vorstellung, eine Oberförsterschwester, noch dazu aus Pudagla, als Wirtschafterin in sein Haus nehmen zu können. Das gab Relief; er fühlte sich wie geehrt. Und am dritten Tage fuhr die Schrödter denn auch bei uns vor und wurde seitens meines Vaters empfangen. Er versicherte später, Kontenance bewahrt zu haben, doch bin ich dessen nicht ganz sicher, trotzdem ihm sein gutes Herz und seine Politesse den Sieg über sich erleichtert haben mögen. Die gute Schrödter war nämlich ein Pendant zu der ungefähr um dieselbe Zeit in Berlin auftauchenden »Prinzessin mit dem Totenkopf«. Was bei dieser letzteren (die dann durch Dieffenbach in einer berühmt gewordenen Kur mittelst »plastischer Chirurgie« wieder hergestellt wurde) das Unheil verschuldet hatte, weiß ich nicht, bei der Schrödter aber waren es die Blattern. Indessen was heißt Blattern! Jeder hat einmal von den Blattern heimgesuchte Personen gesehen und dabei den Ausdruck, der Teufel habe Erbsen auf ihrem Gesicht gedroschen, mehr oder weniger bezeichnend gefunden. Jedenfalls ist der Ausdruck sprichwörtlich geworden. Hier aber wäre diese sprichwörtliche Wendung eitel Beschönigung gewesen, denn bei der guten Schrödter gab es nicht erbsengroße Kuten, sondern halbhandbreite Narbenflächen. Ein Anblick, wie ich ihn nie wieder gehabt habe. Trotzdem, wie schon in Vorstehendem gesagt, kam es zu einem Engagement, und niemals ist ein glücklicheres abgeschlossen worden. Die Schrödter war ein Schatz, und als sechs Wochen später meine Mutter eintraf, sagte sie: »Das hast du gut gemacht, Louis; so entstellt sie ist, ihre Augen sind ihr geblieben und sagen einem, daß sie treu und zuverlässig ist. Und vor Liebschaften ist sie sicher und wir mit ihr. An der werden wir nur Freude haben.« Und so kam es auch. Solange wir in Swinemünde blieben, solange blieb auch die Schrödter in unserem Hause, von alt und jung geliebt und verehrt, nicht zum wenigsten von meinem Vater, der ihr besonders ihren Gerechtigkeitssinn und ihren Freimut hoch anrechnete, trotzdem er unter beiden Eigenschaften gelegentlich ernstlich zu leiden hatte. Sie war nämlich in einer beständigen Kriegführung gegen ihn, einmal aus Liebe zu meiner Mutter (deren beredten Anwalt sie machte, trotzdem diese nach dem Satze: »Die beste Deckung ist der Hieb« sich sehr gut selber zu verteidigen wußte), dann aber auch als Verwalterin der ihr mit vollster Machtvollkommenheit anvertrauten Speisekammer, gegen die mein Vater beständig Raubzüge unternahm, nicht bloß für seine Person – das wäre noch gegangen, wiewohl er imstande war, einen halben Kalbsbraten ohne weiteres wegzufrühstücken –, sondern Raubzüge auch zugunsten seiner Lieblinge: Hühner, Hunde, Katzen, von welch letzteren wir zwei hatten, Peter und Petrine. Peter, auch Peter der Große genannt, ein Kerl wie ein junger Jaguar, war sein besonderer Liebling, und wenn ihm das schöne Tier schnurrend in die Speisekammer gefolgt war (und er folgte immer), so nahmen die Leckerbissen für ihn kein Ende. Das Beste war gerade gut genug. Über diese gottlose Wirtschaft raste dann die treue Seele, die Schrödter, die manchmal die ganze

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