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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Kommerzienrat Krause werde gleich nach Ostern einen Hauslehrer ins Haus nehmen und einige andere Honoratiorenkinder an dem seinen eigenen Kindern zu erteilellden Unterricht teilnehmen lassen. So war es denn auch. Es machte aber, außer meinen Eltern, keiner von dieser freundlichen Bereitwilligkeit Gebrauch, und als zwischen den beiden Familien alles verabredet und geordnet war, erschien ich bei Beginn des Unterrichts mit einer Seehundsfellmappe, drin drei Schreibebücher und ein Kinderfreund steckten, in der Schulstube des Krauseschen Hauses. Das Krausesche Haus, von dem ich in Kapitel 8 bereits ausführlicher gesprochen, war mir damals schon wohlbekannt, aber in
den
Teil des Hauses, der zunächst das Schulzimmer und rechts und links daneben zwei für den Hauslehrer eingerichtete Mansardenstuben enthielt, war ich noch nie gekommen. Ich empfing auch hier wieder sofort den freundlichsten Eindruck, indessen so freundlich derselbe war, so war doch keine Zeit, mich mußevoll umzutun, denn der Lehrer saß schon auf seinem kurulischen Stuhl, einem großen Sessel in Gartenstuhlformat, die zwei jüngeren Krauseschen Kinder neben sich, mein Freund Wilhelm ihm gegenüber 6 . Neben diesem war noch ein Stuhl frei; der war für mich. Ich ging aber, so war ich instruiert, zuvörderst auf den Lehrer zu, um diesem die Hand zu geben. Er rückte denn auch, war er doch ohnehin kurzsichtig, seinen Sessel ein wenig herum, um mich besser sehen zu können. »Nun, das ist recht, daß du da bist. Setze dich da drüben neben deinen Freund. Und nun wollen wir mit einer Leseprobe beginnen. Ihr habt alle den Kinderfreund, und der soll auch bleiben. Aber heute möcht ich doch, daß wir zuerst die Bibel nähmen; ihr habt doch die Bibel?« Wir bestätigten, und er seinerseits fuhr fort: »Ich denke, wir fangen mit dem Anfang an. ›Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde.‹ Für die zwei Kleinen ist es noch zu schwer, aber ihr beiden Großen könnt euch darin teilen.«
    Wir lasen denn auch das Kapitel so ziemlich zu seiner Zufriedenheit, und als wir durch waren, sagte er: »Nun will ich noch ein paar Fragen tun und mir allerlei von euch erzählen lassen, ob ihr schon in Stettin wart oder in Rügen und ob ihr schon schwimmen könnt und Schlittschuh laufen und ob ihr wißt, wo Vineta gelegen hat. Ihr kennt doch Vineta?«
    Wir sagten ihm, was ihn erheiterte, daß wir zu Boot über die Stelle hingefahren wären. Und dann frug er, welche Spiele wir spielten und ob wir's verständen, einen Drachen steigen zu lassen. Aber wir müßten ihn auch selber machen können. Es lag ihm offenbar daran, uns durch leicht zu beantwortende Fragen sowohl mit Vertrauen zu ihm wie zu uns selbst zu erfüllen. Es mochten so anderthalb Stunden vergangen sein, dann sagte er: »Nun ist es genug für heute, morgen wollen wir aber volle Zeit halten. Ich habe schon einen Stundenplan gemacht, und du mußt ihn dir abschreiben.« Diese Worte richteten sich an mich. Ich erhielt dann noch die Bestellung an meine Eltern, daß er am Nachmittage kommen würde, seinen Besuch zu machen, worauf ich nach Hause stürmte, um zu erzählen, wie mirs gegangen sei. Meine Mutter war etwas überrascht, während mein Vater sagte: »Gefällt mir alles sehr; nur nicht gleich scharf zufassen. Immer peu à peu. Nicht quälen, nicht einschüchtern. Vertrauen wecken und Liebe. Und daß er euch gleich freigegeben hat! Das ist das, was ich einen richtigen Pädagogen nenne. Ferien sind etwas Dummes, ich habe nie gewußt, was ich in den Ferien machen sollte; aber Freistunden, à la bonne heure. Und daß er euch immer gefragt hat und sich gleich hat von Drachensteigen erzählen lassen! Er hat offenbar die sokratische Methode.«
    Die hatte er nun freilich nicht, aber in allem, was mein Vater sonst noch zum Lobe des Hauslehrers gesagt hatte, hatte er recht. Dr. Lau, so hieß der neue Hauslehrer, war ein vorzüglicher Pädagog, weil er ein vorzüglicher Mensch war, und wenn ich oben gesagt habe, daß ich eigentlich alles den Anekdoten meines Vaters zu verdanken hätte, so muß ich doch den guten Dr. Lau ausnehmen. Dieser verstand es auch, einem allerlei kleine Geschichten, woran eine Kinderseele hängt, zu vermitteln, aber weil er zugleich ein geschulter Mann war, so tat er das alles in Ordnung und Zusammenhang, und das bißchen Rückgrat, das mein Wissen hat, verdank ich ihm.
    Dr. Lau war ein Priegnitzer. Er mochte damals, als er ins Krausesche Haus kam, gegen dreißig sein, sah aber älter aus, was wohl damit

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