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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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würde, da meine Mutter nur eben die Schwächen und nicht die Vorzüge derselben erkannte, sehr wahrscheinlich zu heftigen Streitigkeiten zwischen den beiden Eltern geführt haben, wenn meine kritikübende Mama dem Ganzen überhaupt eine tiefere Bedeutung beigelegt hätte. Das war aber nicht der Fall. Sie fand nur, daß meines Vaters Lehrart etwas vom Üblichen völlig Abweichendes sei, wobei nicht viel Reelles, das heißt nicht viel Examenfähiges herauskommen würde, worin sie auch vollkommen recht hatte. Da ihr selber aber alles Wissen sehr wenig galt, so belächelte sie zwar die »sokratische Methode«, sah aber keinen Grund, sich ernsthaft darüber zu ereifern. Es kam ihrer aufrichtigsten Überzeugung nach im Leben auf ganz andere Dinge an als auf Wissen oder gar Gelehrsamkeit, und diese anderen Dinge hießen: gutes Aussehen und gute Manieren. Daß ihre Kinder sämtlich gut aussähen, war eine Art Glaubensartikel bei ihr, und daß sie gute Manieren entweder schon hätten oder sich aneignen würden, betrachtete sie als eine natürliche Folge des guten Aussehens. Es kam also nur darauf an, sich vorteilhaft zu präsentieren. Ernste Studien erschienen ihr nicht als Mittel, sondern umgekehrt als Hindernis zum Glück, zu
wirklichem
Glück, das sie von Besitz und Vermögen als unzertrennlich ansah. Ein Hunderttausendtalermann war etwas, und sie hatte Respekt und selbst Ehren für ihn, während ihr Gerichtspräsidenten und Konsistorialräte nur wenig imponierten und ihr noch weniger imponierend erschienen wären, wenn nicht im Hintergrunde das von ihr respektierte »Staatliche« gestanden hätte. Sie war unfähig, sich vor einer sogenannten geistigen Autorität in gutem Glauben zu beugen, nicht weil sie von sich selbst eine hohe Meinung gehabt hätte (sie war im Gegenteil völlig ohne Eitelkeit und Einbildungen), sondern nur weil sie, wie sie nun mal war, auf dem praktischen Gebiete des Lebens – und die
nicht
praktischen Gebiete kamen für sie gar nicht in Betracht – eine Macht des Wissens oder gar der Gelehrsamkeit nicht anerkennen konnte. Ich erinnere mich noch der Zeit, wo seitens beider Eltern, etwa zwanzig Jahre nach dem hier Erzählten, eine Trennung, eventuell Ehescheidung geplant wurde. Die Trennung erfolgte dann auch wirklich, die Ehescheidung unterblieb. Aber diese letztere wurde doch vorübergehend ganz ernsthaft erwogen, und ein Freund unseres Hauses, der damalige bethanische Geistliche, Pastor Schultz, dessen Spezialität Ehescheidungsfragen waren (es war die Zeit unter Friedrich Wilhelm IV., wo man solche Dinge mit frisch auflebender dogmatischer Strenge behandelte), – Pastor Schultz, sag ich, lehnte sich, als er von dem Plane hörte, mit aller Kraft und Beredsamkeit dagegen auf. Meine Mutter hielt sehr viel auf ihn und kannte zudem das Ansehen, dessen er sich »bis hoch hinauf« erfreute, »bis hoch hinauf«, was für sie Bedeutung hatte; nichtsdestoweniger machten seine strengen Auseinandersetzungen nicht den geringsten Eindruck auf sie, so wenig, daß sie, als er schwieg, mit superiorer Seelenruhe sagte: »Lieber Schultz, Sie verstehen diese Frage gründlich; aber ob ich ein Recht darauf habe, mich scheiden zu lassen oder nicht, diese Frage kann in der ganzen Welt kein Mensch so gut beantworten wie ich selber.« Und damit brach sie ab. Ähnlich ungläubig stand sie jeder Autorität gegenüber. Sie war voll Mißtrauen in die Leistungsfähigkeit aller drei Fakultäten und bezweifelte – patriarchalische Zustände waren ihr Ideal –, daß die Menschen beispielsweise was Reelles von der Juristerei hätten. Alles gehe, so meinte sie, nach Gunst oder Vorteil oder im besten Fall nach Schablone. Reich sein, Besitz (am liebsten Landbesitz), alles womöglich unterstützt von den Allüren eines Gesandtschaftsattachés –
das
war etwas, das schloß Welt und Herzen auf, das war eine wirkliche Macht; das andere war Komödie, Schein, eine Seifenblase, die jeden Augenblick platzen konnte. Und dann war nichts da. Man wird begreifen, daß bei dieser Anschauung meine Mutter zwar darauf hielt, mich aus der Barfüßlerschule herauszubringen, im übrigen aber in einem Interim ohne regelmäßigen Schulunterricht kein besonderes Unglück sah. Es war gegen die Ordnung, das war das Schlimme daran. Im übrigen, das bißchen Lernen, das war jeden Augenblick wieder einzubringen. Und wenn nicht, nicht.
     
    Zu diesem Wiedereinbringen schien sich endlich Gelegenheit bieten zu sollen, als es Ende März 1828 hieß,

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