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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Bettes nicht schließen, daß Dr. Lau von einer gekünstelt heraufgeschraubten Gefühlsbeschaffenheit gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Er war von durchaus gesundem Sinn, und wenn ich mich eines literarischen Vorgangs erinnere, darin ich mit neun oder zehn Jahren die Hauptrolle spielte, so muß ich meinen guten Dr. Lau sogar einen Realisten nennen. Dies kam so. Meines Vaters Geburtstag stand bevor, und ich hatte die Pflicht, auf einem liniierten Briefbogen – schon die bloße Liniierung war ein Schrecknis – meine Glückwünsche niederzuschreiben. Ich durfte dies in einer Schulstunde tun, während welcher Lau Exerzitienhefte korrigierte. Mit einem Male sagte er: »Nun gib her.«
    Ich hatte aber mit meinem Geburtstagsbriefe noch gar nicht angefangen, sondern mich bis dahin darauf beschränkt, allerlei Reime auf ein neben mir liegendes Blatt zu kritzeln, halber Unsinn, der nicht viel was andres war als der Ausdruck meiner Verzweiflung. Ich wußte nicht, was ich schreiben sollte, der berühmte Anfang wollte sich nicht finden lassen, und so schob ich denn mit Hilfe dieser Spielerei das, um was es sich eigentlich handelte, nur hinaus. Verlegen reichte ich das bekritzelte Blatt hinüber, und Lau, nachdem er seine Brille geputzt, begann zu lesen:
     
    Lieber Vater,
    Du bist kein Kater.
    Du bist ein Mann,
    Der nichts Fettes vertragen kann;
    Doch von den Russen hörst Du gern,
    Wie sie den Polen den Weg versperrn etc. ...
     
    In solcher Reimerei, drin ich von Zeile zu Zeile sozusagen lapidar gegenüberstellte, was mein Vater sei und nicht sei, was er möge und nicht möge, ging es weiter zwei Seiten lang. Als Dr. Lau damit durch war, schlug er auf den Tisch und sagte: »Das ist gut, das wollen wir nehmen; darüber wird sich dein Vater freuen. Nur das mit dem Kater müssen wir fortlassen.« Und den Anfang durchstreichend, schrieb er statt dessen: »Lieber Vater, Du Stadtberater.« Denn mein Vater war kurz vorher Senator oder Mitglied des Magistrats geworden, dessen Sitzungen er, bei großer Abneigung gegen dergleichen, natürlich nie beiwohnte. Auch diesen Zug hab ich von ihm geerbt. Lau blieb zwei Jahre lang. Als sein Abgang nahe war, kam ich auf den unglücklichen Gedanken, ihm zu Ehren ein Stück auf zuführen, noch dazu ein Lustspiel. Es war ungebührlich lang, und kein Mensch hörte recht zu, was mich sehr traurig machte. Das Schlimmere aber lag nach der Herzensseite hin. Ich liebte Dr. Lau ganz aufrichtig, mehr als irgendeinen anderen Lehrer, den ich später gehabt habe; trotzdem brachte mich die verdammte Komödianteneitelkeit um jedes richtige Gefühl für den Mann, dem ich doch soviel verdankte. Ja, noch ganz zuletzt, als er bewegt von uns Kindern Abschied nahm, dachte ich nicht an den lieben, braven Mann, sondern immer noch an das dumme Stück, mit dem wir so gar keinen Erfolg erzielt hatten. Eigentlich bleibt es zeitlebens so; immer wenn mit allem Fug und Recht die großen Gefühlregister gezogen werden sollen, denkt man als Kind an Kuchen und Traubenrosinen, zehn Jahre später an einen neuen Schlips, und wenn endlich wer gestorben ist, an den Boule-Schrank, und wer ihn wohl eigentlich kriegen wird.
    Lau, soviel ich weiß, hat nie mehr von sich hören lassen. Vielleicht, daß er an Krauses schrieb, aber ich habe nichts davon vernommen. Viele Jahrzehnte später erfuhr ich, daß er Rektor in Wittstock geworden sei, und als solcher ist er mutmaßlich gestorben.
     
    Lau verließ uns im Spätherbst 30, und Bemühungen, seine Stelle rechtzeitig zu besetzen, waren entweder versäumt worden oder hatten zu keinem Resultate geführt. Wir standen also wieder vor einem Interim, das aber diesmal, weil die Krauses mit in Verlegenheit waren, einen anderen Charakter annahm als vordem. Mit andern Worten, die »Methode« meines Vaters brauchte nicht wieder zu momentaner Aushilfe für mich herangezogen zu werden, denn nach einigem Umtun in der Stadt ergab sichs, daß ein in den Vorbereitungen zum Examen steckender Theologe vorhanden und desgleichen bereit sei, sich bis zum Eintreffen eines neuen Hauslehrers unserer anzunehmen. Freilich nur halb und auch das kaum. Es war dies der Predigtamtskandidat Knoop, Sohn des Lotsenkommandeurs, ein gewissenhafter junger Mann, gegen den nicht das geringste zu sagen gewesen wäre, wenn er uns und unsre Eltern nicht zu sehr hätte fühlen lassen, daß er alles nur aus Gefälligkeit tue, ja, daß er uns geradezu ein Opfer bringe. Vorwürfe waren ihm daraus freilich nicht zu machen, denn es lag

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