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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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zu wollen. Treff ich es damit, so muß ich sagen, ich halte das von ihr eingeschlagene Verfahren für falsch. Wer die Untat entdeckt und als Untat empfindet, der muß auch auf der Stelle Richter und Vollzieher in einer Person sein. Vergeht aber eine halbe Stunde oder eine ganze, und muß nun ein vom Frühschoppen heimkehrender Vater, der eigentlich sagen möchte: »Seid umschlungen, Millionen«, muß dieser unglückselige Vater auf einen Bericht und eine sich daran knüpfende Pflichtermahnung hin den Stock oder gar die Reitpeitsche von seinem verstaubten Schreibpult herunternehmen, um nun den alten König von Sparta zu spielen, so ist das eine sehr traurige Situation, traurig für den mit der Exekution Beauftragten und traurig für den, an dem sich der Auftrag vollzieht. Kurz und gut, ich wurde ganz gründlich ins Gebet genommen, und als ich aus der Marter heraus war und total verbockt (ein Zustand, den ich sonst nie gekannt habe) in unserer schüttgelben Kinderstube mit dem schwarzen Ofen und dem Alten-Geißler-Stuhl auf und ab ging, erschien meine Mutter und forderte von mir, daß ich nun auch noch hinübergehen und meinem Vater abbitten solle. Das war mir über den Spaß, und ich weigerte mich. Schließlich aber redete sie mir freundlich zu, und ich tat es. Ich glaube, sie fühlte in ihrem Gerechtigkeitssinne, daß sie viel zu weit gegangen war, und weil ihr mein Vater, dem die Sache gewiß geradezu gräßlich war, schon ähnliches gesagt haben mochte, so lag ihr daran, alles baldmöglichst wieder beglichen zu sehn.
    All das waren so Proben aus dem verunglückten Detail der Erziehung oder, ich könnte auch sagen, unerwünschte Leistungen auf dem von beschränkten Leuten so recht eigentlich als »Erziehung« angesehenen Gebiete, weil beschränkte Leute von der Erziehungsvorstellung die Vorstellung der Strafe nicht trennen können. Glücklicherweise kam es zu solchen Szenen nur sehr ausnahmsweise, was ich hier nochmals von ganzem Herzen preise. Regel war, unsere Kreise nicht zu stören, und wenn ich nicht in die Schule ging oder gerade Schillersche Balladen lernen mußte, so gehörte meine Zeit der Beschäftigung nach freier Wahl an, der Ungebundenheit, dem Spiel.
     
    Mein Vater hing dem Spiel nach; ich auch. Aber während seine Spiele L'hombre, Whist und Boston hießen, des edlen Pharaos ganz zu geschweigen, hießen die meinigen, um nur ein paar zu nennen, Klinker und Knut und Anschlag und Versteck. Kartenspiel, wie's auch Kinder spielen, war mir immer höchst langweilig, wogegen ich all das, was ich
meine
Spiele nannte, mit einer Lust und Leidenschaft spielte, die weit über die Kartenspiellust meines Vaters hinausging. Ich war der geborne kleine Akrobat. Von Schulgerechtem konnte dabei keine Rede sein; aber in allem, was einem auf diesem Gebiete, wenn man leidlich gesund ist, von Mutter Natur als Voranlage mitgegeben wird, war ich sehr glücklich ausgestattet. Ich war stärker und gewandter als die Schul- und Straßenjungen, mit denen ich anfänglich (später änderte sichs) in Berührung kam, und diese Kraft und Gewandheit zu zeigen, war ich in so hohem Maße beflissen, daß ich, im Rückblick auf meine Kinderjahre, diese ganze Zeit nicht als eine Schul- und Lernezeit voll Gequält- und Gedrilltwerdens, sondern als eine Zeit unausgesetzten Spielens vor Augen habe, so sehr überwogen die Spielstunden alles andere, sowohl dem Zeitmaße wie dem Interesse nach.
    Noch einmal, es war zumeist meine natürliche Veranlagung für das Turnerische, was mich die gewöhnlichen Knabenspiele mit so viel Lust und Liebe spielen ließ, und ich werde davon in diesem und den folgenden Kapiteln noch mancherlei zu berichten haben. Aber in jenem wohlbekannten Widerspruche, der nun mal, einem rätselhaften Naturgesetze folgend, unser Leben und unsere Neigungen durchzieht, in diesem auch bei mir zutage tretenden Widerspruche traf es sich so, daß meine zwei leidenschaftlichsten Spielbeschäftigungen in dem einen Falle gar nichts und in dem andern sehr wenig mit Akrobatik und halsbrecherischen Kunststücken zu tun hatten. Denn diese zwei leidenschaftlichsten Beschäftigungen waren: die Buchbinderei (richtiger noch, bloße Papparbeit) und das Versteckspielen.
    Die
Papparbeit!
Mir ganz unerfindlich jetzt, wie mich diese langweiligste Beschäftigung durch Jahre hin so ganz in Anspruch nehmen konnte, daß ich mindestens ein Drittel meiner freien Zeit damit verbracht und mindestens zwei Drittel meines Taschengeldes für Pappe, marmoriertes

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