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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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geschickt genug, so flog der Ball gelegentlich in eine Scheibe. Danach kam dann das Strafgericht. Aber viel, viel schlimmere Folgen entsprangen mir aus meines Vaters Antipathie gegen die vorerwähnten Dachreparaturen. Zu meinen Hauptspielvergnügungen, ich komme weiterhin ausführlich darauf zurück, zählte das Umherklettern und Sich-Verstecken auf dem Bodengebälk. Ich saß oder hockte da, meist mit dem Rücken an einen Rauchfang gelehnt, und war glücklich, wenn die Jungen, die nach mir suchten, mich nicht finden konnten. Aber gerade diese Momente höchsten Triumphs waren es doch auch, die zuletzt wieder eine Gefahr heraufbeschworen. Wenn ich da durch Mauer- und Lattenwerk verborgen eine Stunde lang und oft noch länger gehockt hatte, kamen, wie sich denken läßt, kleine menschliche Schwachheiten über mich, denen ich sozusagen auf ordnungsmäßige Weise nicht nachgehen konnte, weil ich mich dadurch meinen unten auf mich wartenden Feinden überliefert haben würde. So denn zwischen zwei Bedrängnisse gestellt, kroch ich zuletzt aus meinem Halbversteck auf einen möglichst im Schatten liegenden Balken hinaus und nahm hier die Stellung ein, wie die berühmte kleine Brunnenfigur in Brüssel, mich zugleich derselben Beschäftigung unterziehend. Gleich danach verbarg ich mich wieder, so gut es ging, und wartete da, bis ich bei endlichem Dunkelwerden meine Chance wahrnehmen und unten am Treppenpfeiler unter dreimaligem Anschlag den Frei-Platz erreichen konnte. Das war dann jedesmal ein großer Sieg, aber eine schmerzliche Niederlage heftete sich nur allzu oft an meine Sohlen. Traf es sich nämlich so, daß mein Vater am anderen Tage sein Haus revidierte, vor allem aber die Böden, gegen die er immer ein besondres Mißtrauen unterhielt, so trat er alsbald sinnend an die Stelle, zu deren Häupten ich am Abend vorher gestanden, und hielt hier eine seiner herkömmlichen, zunächst gegen das verdammte Dach, das ihn noch aufzehren werde, gerichteten Ansprachen, bis ihm mit einem Male der Gedanke kam, »sollte vielleicht wieder ...?« Und nun begann das Prozessualische. Wurde meine Schuld festgestellt, so traf mich eine Strafe, die die wegen Ball und Fensterscheibe mindestens dublierte.
    Solcher Art waren die Vollstreckungen aus der freien Initiative meines Vaters, kleine Exekutionen, die vielleicht auch hätten wegbleiben können, aber gegen die ich, wie schon gesagt, in meinem Gemüte nicht länger murre. Sehr anders verhielt es sich mit den Strafen, an die mein Papa wie in Ausführung eines richterlichen Befehls heran mußte. Diese waren schmerzlich und nachhaltig. Eine davon ist mir besonders stark im Gedächtnis geblieben.
    Es war schon im Oktober, ein heller, wundervoller Tag, und wir spielten in unserem Garten ein von uns selbst erfundenes, aber freilich nur einmal gespieltes Spiel: »Bademeister und Badegast«. An der Gartentür standen Tisch und Stuhl, auf welch letztrem der Bademeister saß und gegen gesiegelte Marken Zutritt gewährte. War diese Marke gezahlt, so schritt der Badegast über eine auf Holzkloben liegende Bretterlage hin und kam schließlich an den Badeplatz. Dies war ein vorher gegrabenes riesiges Loch von wenigstens vier Fuß im Quadrat und ebenso tief. Das Wasser fand sich von selbst, denn es war Grundwasser, und in diesem Grundwasser stapften wir nun, nach Aufkrempelung unserer Hosen und wie in Vorahnung der Kneippschen Heilmethode, glückselig herum. Aber nicht allzu lange. Meine Mutter hatte vom Wohnzimmer meines Vaters aus diesen Badejubel beobachtet, und aus Gründen, die mir bis diesen Augenblick ein Geheimnis sind, entschied sie sich dahin, daß hier ein Exempel statuiert werden müsse. Hätte sie sich der Ausführung dieses Entscheids nun selber unterzogen, so wäre die Sache nicht schlimm gewesen, die Hand einer Mutter, die rasch dazwischenfährt, tut nicht allzu weh; es ist ein Frühlingsgewitter, und kaum hat es eingeschlagen, so ist auch die Sonne schon wieder da. Leider jedoch hatte meine Mutter, und zwar schon Jahr und Tag vor Eröffnung dieser »privaten Badesaison«, den Entschluß gefaßt, nur immer Strafmandate zu erlassen, die Ausführung aber meinem Vater wie einem dafür Angestellten zuzuweisen. Das Heranreifen eines solchen Entschlusses in ihr kann ich mir nur so erklären, daß sie davon ausging, mein sehr zur Bequemlichkeit neigender Vater sei eigentlich »für gar nichts da«, und daß sie mit dem allen den Zweck verband, ihn auf den Weg des Pflichtmäßigen hinüberleiten

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