Meine Philosophie lebendiger Gaerten
Ob sie die Blumen nicht sehen wollten oder ob es ihnen nicht »erlaubt«, nicht möglich war, weil Aufbauarbeit anstand, sei dahingestellt. Nüchternheit und Sachlichkeit waren angesagt, Ärmel hochkrempeln und - vorausgesetzt, man hatte nach dem grauenhaften Krieg noch beide Beine und Arme - aufräumen, aufbauen. Den Menschen stand der Sinn wohl kaum danach zu bitten: »Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben?«
Ich bin überzeugt, dass Menschen nur in der Erde wühlen, also lustvoll gärtnern können, wenn sie spüren, dass aus dem Boden etwas Schönes sprießen kann. Nach dem Zweiten Weltkrieg schauten sich die Menschen an, versicherten sich gegenseitig, sie hätten von all der Menschenvernichtung nichts gewusst und nichts geahnt, sie wollten nicht daran
glauben und trugen dennoch, oder gerade deshalb, eine innere Schuld mit sich herum. Für die Muse des Gartens hatten sie kein Herz und nicht die nötige Liebe. Garten braucht innere Vergebung. Natürlich waren da die Not, der Hunger, sie waren die täglichen Begleiter. So haben die Menschen Kartoffeln angebaut, praktische Notwendigkeit im täglichen Überlebenskampf. Für Blumenkultur war da kein Platz.
Auf ihren Seelen lastete die Vergangenheit, und so sehr sich manch einer in der Nachkriegszeit nach den schönen Dingen früherer Jahre sehnte, so wollten die neuen Generationen frei von allen Relikten des Gewesenen in neue Räume hinaustreten. Manch eine Stadt versuchte man nach ihren ursprünglichen Plänen wiederaufzubauen, wie etwa meine Heimatstadt Hamburg. Aus den bildhaften Erzählungen meiner Großmutter sehe ich immer die Arbeit der Trümmerfrauen vor mir, wie sie jeden Mauerstein gereinigt, gestapelt und zum Wiederaufbau vorbereitet haben. Andere Städte wurden nicht einfach wieder aufgebaut, um so auszusehen wie früher, ihre Restbestände wurden abgetragen, um Hochhäusern, Reihenhäusern, neuen Plätzen und Quartieren, verkehrsgerechten Innenstädten und geschwindigkeitstauglichen Nebenstraßen Platz zu machen. An Gärten dachte man da eher beiläufig. Allerdings entdeckte man die Stadtparks neu - sie wurden das neue und einzige Gartenphänomen der Sechzigerjahre, oft entstanden aus Gartenschauen.
Dann ging es mit der Wirtschaft immer weiter aufwärts. Auch der eigene Häuslebau war wichtiger als der Gartenbau, denn
in den Köpfen hatte es sich längst verfestigt: Was gesamtgesellschaftlich gilt, lenkt auch den Privatmenschen und seinen Alltag - mehr und mehr, höher und weiter, der Erfolg sollte keine Grenzen kennen, nach dem Auto das Haus, manchmal auch umgekehrt. Der zunehmende Wohlstand maß sich an den materiellen Dingen, der Garten spielte da eher eine ideelle Rolle. Für ihn waren weder Mittel vorgesehen noch die Zeit vorhanden. Das emotionale Gartenerlebnis hatte keinen Stellenwert. Bestenfalls der Gartenzwerg überlebte in ein paar hilflos angelegten oder kitschüberladenen Vorgärten. Hinter den Häusern ließen sich ein Sack Rasensamen auf die Erde werfen und ein paar Koniferen als Sichtschutz gegen den Nachbarn und dessen stundenlang polierten neuen Opel und die ständig wippende Hollywoodschaukel pflanzen. Dass es auch zu dieser Zeit einige engagierte Gartengestalter und Gärtner gab, die sich um schöne Gärten bemühten und diese kreierten, daran besteht kein Zweifel. Doch gesamtgesellschaftlich und im Gesamtbild der Städte konnten sie nur minimale Spuren hinterlassen.
Garten und Nachkriegszeit - man mag denken, dass lebendiges Grün und die Farben der Blüten hätten Trost spenden und Hoffnung aufkeimen lassen können. Doch fürchte ich, dass dieser Gedanke recht abstrakt ist, ein Wunschdenken, das an der Wirklichkeit vorbeizugehen droht. Es braucht Zeit, in einen Boden, der Angst macht oder den die Menschen ablehnen, der ihnen unangenehm ist oder den sie mit grausamen Erinnerungen verbinden oder gar hassen, einen Baum zu pflanzen oder darin eine Blume gedeihen zu lassen,
die Freude bringen soll. Es braucht Zeit, bis eine Pflanze, ein Baum, eine Blume dann aber auch zum Vermittler, zur Versöhnung werden kann. Aber diese Zeit kommt, das ist gewiss.
Der Garten der Kindheit
D as Bild gibt es wirklich: Wie das kleine Mädchen mit Kopftuch und dem selbstbewussten Blick in die Welt, kaum kann es sich auf seinen Beinchen halten, eine Gießkanne hinter sich herzieht. Keine Puppe, kein Spielauto - einer Gießkanne gilt die ganze Zuneigung und Aufmerksamkeit. Auch Schaufel und Eimer können mal dazukommen. Irgendwann stemmt
Weitere Kostenlose Bücher