Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
stellen, und dann wird sie dich mit der Schaufel erschlagen.
Nach mehreren Anläufen überwand ich den Zaun. Geduckt schlichen wir durch stachelige Sträucher, nach einer halben Stunde hatten wir das Ziergehölz, unter dem Wassja auf uns wartete, erreicht. In einem verbissenen gemeinschaftlichen Kraftakt zogen wir den Koloss einen halben Kilometer bis zur auserkorenen Grabstätte und schaufelten abwechselnd das Loch. Mit Genugtuung bemerkte ich, dass diese Arbeit weder Samtcape noch High Heels gut bekam.
Schweigend, verschwitzt und in seltener Eintracht hatten wir schon eine ungefähr zwei mal zwei Meter große und etwa dreißig Zentimeter tiefe Grube ausgehoben, als uns Taschenlampenstrahlen ins Gesicht trafen. Meine Schwiegermutter schrie auf und schwang die Schaufel über den Kopf. Ich stand in der Grube und widerstand nur schwer dem Impuls, mein Haupt in die lose Erde zu stecken.
Zwei Polizeibeamte gaben sich als solche zu erkennen und fragten irritiert, aber nicht unfreundlich, was wir da täten und ob wir so nett wären, uns auszuweisen. Ich krabbelte beflissen aus dem Loch und suchte nach einer nicht allzu unglaubwürdigen Ausrede, als Darya losbrüllte und mich mit ihren Deutschkenntnissen verblüffte.
Selbst der gutmütigste und phlegmatischste deutsche Polizist reagiert ungehalten, wenn er als »Dreckschwein« und »Nazi« tituliert wird. Wer wollte es ihm verdenken? Ich jedenfalls war voller Verständnis, als sich die Beamten auf Darya stürzten und versuchten, ihr die Schaufel zu entwinden.
Im sich anschließenden Handgemenge stolperte einer der beiden über den bis dahin unbemerkt gebliebenen Wassja und ging mit einem Schmerzensschrei zu Boden. Meine helfend ausgestreckte Hand missverstand er als tätlichen Angriff – auch das konnte ich ihm nicht übelnehmen – und briet mir mit seiner Taschenlampe beherzt eins über.
Die Polizisten verzichteten nun darauf, unsere Personalien vor Ort aufzunehmen, wir wurden wie Verbrecher abgeführt und landeten auf der Rückbank eines Streifenwagens. Auf der Fahrt zum Revier schimpfte Darya ununterbrochen vor sich hin. Glücklicherweise auf Russisch. Ich starrte aus dem Fenster, während mir Sprichwörter durch den Kopf schossen. Mitgefangen, mitgehangen. Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.
Das wird teuer, denke ich und hypnotisiere die Tür der Arrestzelle. Hausfriedensbruch, Störung der Totenruhe, ordnungswidrige Beseitigung eines Tierkörpers, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, in Tateinheit mit Körperverletzung. Erneut fixiere ich Darya. In ihren Augen sammeln sich Tränen, an ihrer Nase hängt ein Tropfen.
Meine Schwiegermutter hat nah am Wasser gebaut, wie der Rest meiner angeheirateten Familie. Warum sie gerade jetzt heult, erschließt sich mir nicht. Bereut sie die Schwierigkeiten, in die sie uns gebracht hat? Hat sie Angst vor den Konsequenzen? Trauert sie um Wassja und fragt sich, was nun aus ihm wird? Oder ist es ein allgemeines, diffuses Bedauern über die Ungerechtigkeit der Welt? Ich frage nicht nach, ich bin zu müde, mir ist übel, und mein Kopf schmerzt vom Hieb der Taschenlampe.
Ich tätschele Daryas Knie, als die Zellentür aufgeschlossen wird und ein Beamter den kleinen Raum betritt.
»Der Dolmetscher für Frau Polyakowa ist da. Wir können jetzt das Protokoll aufnehmen. Wenn Sie mir bitte folgen.« Darya schaut mich fragend an, ich nicke aufmunternd und bedeute ihr, mit dem Polizisten zu gehen. Entschlossen zieht sie die Nase hoch und wankt auf erdverkrusteten Absätzen ihrem Schicksal entgegen.
Fünf Minuten später werde auch ich von einer Beamtin in ein Büro geführt, sie gibt mir meinen Personalausweis zurück.
»Frau Matthes, Sie wohnen noch unter der angegebenen Adresse?«
»Ja.«
»Was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Anwältin«, sage ich. Die Frau bekommt große Augen und schüttelt den Kopf.
»Das heißt, Ihnen war die Tragweite Ihrer Handlung bewusst? Dass Sie sich strafbar machen?«
Ich zucke die Schultern. Was heißt schon bewusst – nach all dem Cognac?
»Ist Frau Polyakowa Ihre Mandantin?«
»Nein.«
»Sie sind befreundet?«
»Nein.«
»Woher kennen Sie die Dame denn?«
Durch eine gläserne Trennwand kann ich die »Dame« im Nebenraum beobachten. Gerade schreit sie und fuchtelt mit den Händen. Der Dolmetscher schreit und fuchtelt zurück. Später erfahre ich, dass er aus Kasachstan kommt. Darya Polyakowa aus Moskau wird
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