Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen
von einem Kasachen übersetzt. Eine Zumutung.
Ich seufze. »Frau Polyakowa ist meine Schwiegermutter.«
»Oh.« Pause. »Sie haben also nach der Heirat Ihren Mädchennamen behalten?«
»Ja. Ich fand, Paula Polyakowa klingt lustig, aber nicht seriös.«
»Ganz ehrlich, Frau Matthes, letzte Nacht haben Sie keinen besonders seriösen Eindruck auf meine Kollegen gemacht.« Im Blick der Polizistin liegt Häme.
Ich räuspere mich. »Es wäre mir recht, wenn wir uns auf die Sachlage konzentrieren könnten.«
»Na klar«, mein Gegenüber grinst, »dann erklären Sie mir mal ganz sachlich, was Sie nachts auf dem Friedhof wollten und warum Sie die Beamten angegriffen haben.« Hier habe ich kein Mitleid zu erwarten.
In knappen Worten schildere ich die Fakten, mehr oder minder erfolgreich bemüht, keinen Vorsatz zuzugeben. Anschließend liest mir die Polizistin meine Aussage vor, ich unterschreibe das Protokoll.
»So, Frau Matthes, natürlich stellen wir Strafanzeige. Aber da sonst nichts weiter gegen Sie vorliegt, können Sie nun gehen. Wahrscheinlich möchten Sie auf Ihre Schwiegermutter warten? Das wird wohl noch ein bisschen dauern.« Sie grinst schon wieder.
Nebenan hockt Darya zusammengekauert auf ihrem Stuhl und wird von nicht hörbaren Schluchzern geschüttelt. Auch der Dolmetscher scheint den Tränen nahe. Der zuständige Beamte dagegen scheint zu überlegen, wen von beiden er zuerst schlagen soll.
Im Vorraum des Reviers setze ich mich unter den scheelen Blicken der Polizisten auf eine Holzbank. Mir fallen sofort die Augen zu. Zwei Stunden später weckt mich Darya.
»Färrtik! Gähen!« Als ob sie ahnt, dass ihr Befehlston in dieser Situation unangebracht ist, fügt sie leise hinzu: »Dawai, Poletschka.«
Ich hasse es, wenn sie mich so nennt. Ich hasse diese Frau. Und in diesem Moment hasse ich mein ganzes verfluchtes Leben. Im Windschatten meiner Schwiegermutter stolpere ich in den grellen Tag.
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1
B egonnen hatte alles mit einem scheinbar lukrativen Mandat. An einem Maitag vor etwa einem Jahr trat diese russische Familie durch die Tür meiner kleinen Kanzlei in mein Leben und hat es seitdem nicht mehr verlassen. Mein externer Sekretariatsservice hatte den Termin vereinbart. Als ich wissen wollte, worum es dabei ginge, bekam ich die lakonische Antwort, so richtig habe man das nicht verstanden, aber es seien wohl irgendwelche Streitigkeiten mit dem Vermieter des Ehepaares Polyakow.
Genau genommen dem Ex-Vermieter, wie mir Herr Polyakow, ein gemütlich wirkender, untersetzter Mann mit spärlichem mausgrauem Haar, gestenreich erklärte. Sein Deutsch war zu diesem Zeitpunkt nur unzureichend, dafür sprach er fließend Italienisch. Das half bei unserem Erstgespräch nicht wirklich, da sich meine Kenntnisse dieser Sprache auf »O sole mio« und »Ciao« beschränkten. Zumindest verstand ich, dass ihr ehemaliger Vermieter sie bestohlen habe, ein Instrument sei verschwunden.
Viel mehr begriff ich leider nicht, da Herr Polyakow während seiner holprigen Ausführungen unentwegt von seiner imposanten Frau, die mindestens einen Kopf größer war als er, unterbrochen wurde. Offensichtlich war sie mit seiner Version der Geschichte nicht einverstanden und sah sich gezwungen, ihn in ihrer Muttersprache zu korrigieren.
Auf meine Frage, ob sie denn schon Anzeige erstattet hätten, starrten sie mich ratlos an.
»Po-li-zei«, sagte ich, »waren Sie bei der Polizei?«
Beide zuckten erschrocken zurück und schüttelten die Köpfe. »Kaine Polizei, kaine Polizei.«
Wir kamen nicht recht weiter. Kurz war ich versucht, die beiden an einen Kollegen zu verweisen, der Russisch oder wenigstens Italienisch sprach. Angesichts meiner finanziellen Lage verwarf ich den Gedanken wieder.
Ich hatte mich damals erst vor ein paar Monaten von meinem langjährigen Lebensgefährten getrennt und darüber hinaus die Partnerschaft in unserer Gemeinschaftskanzlei gekündigt. Als Einzelkämpferin wollte ich nun wieder ran an die echten Menschen. Paula Matthes, die Rächerin der Enterbten, Kämpferin für Recht und Ordnung, für eine bessere Gesellschaft, in der jeder das bekommt, was ihm zusteht.
So sah ich mich. Allerdings stand ich mit dieser Sichtweise alleine da, meine Auftragsbücher waren leer, und ich wähnte mich, gerade Ende dreißig, bereits am Tiefpunkt meiner juristischen Karriere.
Jetzt saßen endlich zwei Menschen vor mir, teuer gekleidet und mit reichlich Gold behangen – mindestens 750 er, das erkannte mein geschulter
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