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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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Jakutsk, Sibirien, aber das erwähnt sie ungern, jedenfalls hat sie jahrelang in Moskau gelebt, und dort gibt es nur eine letzte Ruhestätte für herausragende Persönlichkeiten. Das ist der Nowodewitschi-Friedhof. Chruschtschow liegt dort, Puschkin, Gogol, Molotow, Prokofjew – einfach jeder, der einmal etwas auf sich gehalten hat.
    Nun ist sie zwar irre, aber nicht irre genug, den Leichnam eines Hundes nach Russland überführen zu wollen. Ein Pendant zum Nowodewitschi musste also her. Es war schnell gefunden. Da sie in Hamburg gestrandet war, durfte es nichts Geringeres als der Friedhof Ohlsdorf sein. Natürlich ist Ohlsdorf höchstens ein müder Abklatsch vom Nowodewitschi, kein Prokofjew, kein Puschkin, aber immerhin Hans Albers und Heinz Erhardt, mehr kann man in diesem Land nicht verlangen.
    Mein Einwand, dass es in Deutschland unmöglich sei, einen Hund auf einem regulären Friedhof zu beerdigen, wurde mit einem hoheitsvollen Lächeln abgetan. Natürlich müsse man den inoffiziellen Weg wählen, es gebe da doch sicherlich einen Friedhofswärter mit finanziellen Problemen und einem großen Herzen, der ein Gebüsch, ein Stück Wiese, ein Beet kenne, das für Wassja geeignet sei.
    »Dascha«, sagte ich, »Dascha, vergiss es. Wir sind hier nicht in Russland.«
     
    Nur einen Tag später fand ich mich auf einem Spaziergang über das weitläufige Ohlsdorfer Gelände wieder, fest untergehakt von Darya, die auf ihren Louboutins in schwindelerregender Höhe neben mir herstöckelte. Den Plan mit dem Friedhofswärter hatte sie verworfen, jeder irrt einmal im Leben, stattdessen favorisierte sie nun eine noch inoffiziellere Variante.
    Wir brauchten nur drei Stunden, um ein angemessenes Gebüsch für Wassja zu finden. Ein an diesem Tage besonders gütiger Gott führte uns zu einem Platz unweit der letzten Ruhestätte von Carl Hagenbeck, Gründer des berühmten Zoos. Darya betrachtete die Bronzeplastik eines Löwen auf dem Grabmal und schaute selig.
    Nach sechs weiteren Tagen legte sich endlich ein feiner Dauerregen über die Stadt, Wassja wurde in den Kofferraum des alten Kombis gewuchtet und nach Ohlsdorf überführt. Wie gewünscht war das Areal wegen des Wetters nahezu menschenleer, unbeobachtet zerrten wir den Kadaver so weit unter einen blühenden Rhododendron, bis er vom Weg aus nicht mehr zu sehen war, fuhren zurück nach Billstedt und warteten darauf, dass es Nacht wurde.
    Gegen ein Uhr war es Darya dunkel genug. Und mir alles egal. Wahrscheinlich lag das am Cognac, den ich in den letzten Stunden wie Wasser konsumiert hatte. Nein, ich trinke nicht, ich bin keine Säuferin. Alkohol ist für mich vielmehr ein Medikament, ein Balsam, der sich über meine Nerven legt und ihnen Normalität vorgaukelt. Schwankend erhob ich mich und nahm Darya die Autoschlüssel ab.
    »Nimm du die Schaufel. Ich fahre.«
    Insgeheim hoffte ich, dass wir auf der Fahrt nach Ohlsdorf in eine Verkehrskontrolle gerieten und meine Fahne auffiele. Ich würde meinen Führerschein verlieren. Aber das war mir das Scheitern unserer Unternehmung wert. Ich fuhr Schlangenlinien, ich missachtete rote Ampeln und die Geschwindigkeitsbegrenzung – es störte niemanden. Neben mir saß Darya, ungerührt, und hielt die Schaufel umklammert.
    Wir parkten an der Fuhlsbütteler Straße, schlugen uns durch stille Kleingärten, bis wir vor dem Zaun des Friedhofs standen. Weit über zwei Meter hoch, mit einem engmaschigen Drahtgeflecht, ragte er vor uns in den Nachthimmel. Ich grinste triumphierend.
    »Darya, meine Liebe, nach dir«, sagte ich höflich und dachte: Da kommt die nie rüber. Schon gar nicht in diesem Outfit.
    Ich hatte erwartet, dass sie dem Anlass und unserem Unterfangen entsprechend in Schwarz und praktisch gekleidet sein würde. Stattdessen trug Darya einen Catsuit im Leoprint, darüber ein dunkles, bodenlanges Samtcape, High Heels und eine passende Clutch. Sie sah aus wie eine Mischung aus Graf Dracula und Barbarella.
    Ihre falsche Löwenmähne wippte dramatisch im Mondlicht, dann flogen Schaufel, Schuhe und Handtasche über den Zaun. Behende wie ein Affe erklomm sie das Hindernis, ließ sich ächzend auf die andere Seite fallen und zischte: »Dawai!«
    Für den Bruchteil einer Sekunde war ich versucht, einfach wegzugehen, mich ins Auto zu setzen, nach Hause zu fahren, mir die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und die Wahnsinnige ihrem Schicksal zu überlassen. Aber ich wusste sofort: Das ist zu kurz gedacht. Sie wird dich finden, sie wird dich

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