Meine Schwester und andere Katastrophen
ich öfter. Ich hatte auch einmal einen Architekten beauftragt, mir einen Kostenvoranschlag für den Umbau unserer Garage in ein Arbeitszimmer zu machen. Oder einen Maler, der mir ein Angebot für das Streichen unseres Flurs, des Treppenhauses und der beiden Schlafzimmer machen sollte. Ich bestellte Broschüren von Nobelhotels in Europa und der Karibik. Für Tim bestellte ich den neuen Audi-Katalog. Ich erkundigte mich, was es kosten würde - sollte Tim mich je fragen -, in
Skibo Castle zu heiraten. (Es hatte Madonna hundertzwanzigtausend Pfund gekostet, alle siebenundvierzig Zimmer zu buchen. Gar nicht übel , so gesehen.) Wir erhielten viele höfliche Briefe von Leuten, die sich Hoffnungen auf unser Geld machten, und dann unternahmen wir rein gar nichts, bis sie wieder aufgaben und uns in Frieden ließen. Aber die Zeit bis dahin war wirklich unterhaltsam.
Ich hatte die Sprechstundenhilfe angerufen. Sie hatte denselben Nachnamen wie er, woraus ich schloss, dass sie seine Frau war. »Wie weit sind Sie schon? Achte Woche? Da hätten Sie früher kommen müssen. Wir sind schon ausgebucht«, eröffnete sie mir. Dann fügte sie hinzu: »Aber man kann nie wissen. Vielleicht hat jemand eine Fehlgeburt.«
Ich legte ohne ein weiteres Wort auf und rief bei meiner zuständigen Kassenpraxis an. Ich legte eine Hand auf meinen Bauch. »Entschuldige bitte«, murmelte ich. »Ich hoffe, du hast das nicht gehört.«
Dann aß ich eine Mango.
Ich wurde Tim gegenüber launisch, weil ich das Gefühl hatte, dass er gegen uns war, auch wenn es ihm nicht bewusst war. Eines Abends besorgte er ein Video. Nichts Besonderes. Aber in dem Film gab es eine Szene, in der ein Gangster entdeckt, dass seine Freundin schwanger ist, und sie verprügelt, woraufhin sie das Baby verliert. Sie läuft weg. Später wühlt er in ihren Sachen und findet zwei selbst gestrickte rote Pullover. Der eine hat Männergröße, der andere ist winzig. Ich gab mir Mühe, nicht zu weinen, aber die Tränen flossen mir nur so über die Wangen. Dann sah ich Tim an, und dessen Augen waren mindestens so rot wie die Pullover.
Er sagte: »Es kommt mir so vor, als hätte ich ihn jetzt schon im Stich gelassen.« Dann schlug er die Hände vors Gesicht und weinte.
Ich drückte auf »Pause«, legte die Arme um Tim und küsste ihn aufs Haar. Ich hörte ein ersticktes: »Verficktes St Albans.«
»Das ist doch Unfug«, sagte ich. »Sie wollen vor allem deine Liebe, glaub mir. Darauf beruht ihre Beziehung zu dir.«
Er wurde wieder fröhlich, und wir brachten eine niedliche Unterhaltung über einen winzigen Menschen zustande, der genauso aussah wie wir.
Aber ein zittriger, ängstlicher Teil in mir fühlte genau wie Tim. Ich wollte das Beste für dieses Baby. Es war kein »Fötus«, wie der Arzt behauptet hatte, es war ein Baby! Dieses Baby sollte alles haben, was es brauchte. Ein BMX. Ein großes Haus, und zwar nicht in St Albans. Babys waren wie Hunde. Sie brauchten Auslauf. Dieses Kind sollte uns nicht schon von Geburt an hassen, nur weil wir ihm nicht alles gegeben haben.
Ich wollte es aller Welt erzählen. Aber - schon jetzt tat sich eine ganz neue Welt auf - ich erfuhr, dass es unangebracht war, mit dem Baby anzugeben, bis es »zwölf Wochen« hatte. Mit unserer neu gewonnenen Würde und Selbstbezogenheit entschieden wir, dass wir sechzehn Wochen warten wollten. Wir brauchten die Ruhezeit, um uns an die Vorstellung zu gewöhnen.
Ich malte mir aus, dass unsere Eltern erfreut sein würden. Ich weiß, Eltern sind über diese Nachricht generell erfreut, aber das ließ sich nicht unbedingt auf unsere Eltern übertragen. Vivica (ich hatte schon mit zwei Jahren aufgehört, sie »Mummy« zu nennen) war mir gegenüber etwas ungezwungener, seit ich über eins siebzig war und meine Nase nicht mehr so oft an ihrem Hosenbein abwischen wollte. Aber ich war nicht sicher, ob sie sich freuen würde, wenn sie von ihrer Tochter zur Großmutter gemacht wurde.
Wenigstens würde Cassie sich freuen. Merkwürdigerweise liebte sie Kinder. Zum Teil vielleicht, weil die Kinder sie liebten. Ich hatte gelesen, dass Babys jedem Gesicht mit gleichmäßigen Zügen zugetan sind. Das ist nicht weiter verwunderlich, warum sollte ein Kind auch ein Monster mögen, das in seine Wiege schielt? Es ist nicht so, als würde sich diese Vorliebe je ändern. Hässliche Menschen sind in unserer Gesellschaft nicht gerade hoch angesehen. Cassie hatte die gleiche Wirkung auf Erwachsene wie auf Kinder. Männer und
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