Meine Schwester und andere Katastrophen
Frauen wollten ihr gefallen. Ob sie selbst charmant oder unhöflich war, spielte dabei keine Rolle.
Neulich rief sie mich aus einer Käseboutique an - »Nein, das ist zu groß. Ja. So. Nein. Ich habe es mir anders überlegt. Den da. Ja. Was? Ich telefoniere gerade. Ich habe einen Zwanziger. Wunderbar« -, und die ganze Zeit über höre ich den Käseverkäufer - »Ist es so recht, gnädige Frau? Kein Problem! Das macht überhaupt nichts. Bitte sehr. Ich lege es in Ihre Tasche, ja?« Als ich das letzte Mal im Feinkostgeschäft war, hätte mich der Kerl hinter der Theke fast aus dem Laden gejagt, nur weil ich für ein neues Rezept eine genau abgemessene Menge an weißem Krümelkäse kaufen wollte. Seitdem weiß ich, dass man Ricotta nicht abmessen kann, weil er zerfällt, sobald man ihn zerschneidet.
Ich würde nicht sagen, dass Cassie auffallend schön ist; sie hat große braune Augen und dichtes braunes Haar, und sie hat so gut wie immer einen leicht gebräunten Teint und einen wunderschönen Busen, was nie schaden kann. Aber es ist nicht nur ihr Aussehen. Sie ist obendrein Anwältin und veröffentlicht hin und wieder Essays über Familienrecht in der Samstagsbeilage des Telegraph - aber auch wenn sie sich Journalistin nennen könnte , ist es nicht so, als würde sie irgendwelche Kritiken schreiben.
Und dennoch. Ständig rief sie in dieser oder jener Presseabteilung an und bekam Freikarten zugeschickt - fürs Theater, für Premieren, Wimbledon, Popkonzerte. Ich bekam so gut wie nie eine Freikarte, obwohl ich für ein verfluchtes Männermagazin arbeitete! Ihrer rauchigen Stimme konnte man einfach nicht widerstehen. Nicht dass sie die Freikarten nötig gehabt hätte - sie und George, der beim Radio arbeitete, verdienten genug, um in einem hohen, spitzgiebeligen Haus in Primrose Hills zu wohnen -, sie freute sich einfach, wenn sie welche bekam. Sie hatte schon siebenmal ein Upgrade bekommen. Ich? Noch nie. Ich landete unausweichlich in der Economy Class, wo mir irgendein Trottel Kaffee über mein bestes Kostüm kippte.
Ich bin zwar selbst nicht gerade ein Reisigbesen, aber mir fehlt ihre magische Ausstrahlung. Mein Haar ist, wie ich es nennen würde, mausbraun, außerdem dünn und fedrig, und meine Augen sind schwarz wie die eines Eichhörnchens. (Eichhörnchen bestechen nicht durch ihre betörenden Augen. Aber wenigstens haben sie einen hübschen buschigen Schwanz.) »Hey! Du siehst echt überhaupt nicht aus wie deine Schwester«, hatte mir einer von Cassies Freunden einst eröffnet. Dann hatte er angefügt: »Entschuldige.«
Inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt. An ihr Flair. Cassie musste dreizehn gewesen sein, als Duran Duran zum Höhenflug ansetzten, und ich schwöre bei Gott, dass sie damals in Simon Le Bons Küche saß und seine Mutter für ihre Schülerzeitung »interviewte«. Während das Gartentor von Scharen hoffnungsloser Teenies belagert wurde. Sie hatte (aus mir unerfindlichen Gründen) immer eine Schwäche für Boris Becker gehabt und - trotz ihrer eher zwiespältigen Erfahrungen mit Tennisschlägern - einen Job als Ballmädchen ergattert, weshalb sie bereits das ein oder andere Mal mit
ihm geplaudert hatte, bevor er in Wimbledon siegte. »Er war echt begeistert von mir«, sagte sie, woran ich nicht den geringsten Zweifel hatte. Jeder ihrer männlichen Vorgesetzten war heimlich in sie verschossen. Flirten lag ihr im Blut, auch wenn sie selten weiter ging. Das Wissen genügte ihr. Ich fragte mich manchmal, ob George wohl wusste, wie glücklich er sich schätzen konnte, mit ihr verheiratet zu sein.
Ihr Leben war geordnet und ausgefüllt. Wärst du eine Fliege an der Wand in ihrem Haus gewesen (unmöglich, da du zerquetscht und tot wärst, noch bevor deine schmutzigen kleinen Beinchen den Anstrich beflecken konnten), hättest du nicht geglaubt, dass Kinder in diesem Haus willkommen waren. Der ausladende Perlmuttkronleuchter, der machtvoll wie ein Stalaktit über dem polierten italienischen Esstisch aus den dreißiger Jahren in ihrem Esszimmer hing, die weißen japanischen Seidenjalousien, die sanft das Sonnenlicht filterten, der dunkle »Astoria«-Sessel aus Leder und amerikanischem Walnussholz mit dazugehörendem Beistelltisch - angeblich das Werk eines Typen namens Franco Bizzozzero für einen anderen Typen namens Bonacina Pierantonio -, nichts davon deutete darauf hin, dass der große Plan auch eine Horde von Gören einschloss.
Von wegen. Wenn wir uns zum Essen trafen, erzählte Cassie jedes
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