Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
Vom Netzwerk:
Zwillinge, und zwar am gleichen Tag. Cassie hatte einen Blick auf das Bild geworfen und gesagt: »Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen als eine Doppelhochzeit. Dem Himmel sei Dank, dass wir keine Mormonen sind.«) Ich hielt die Luft an - würde sie es mir jetzt eröffnen?
    »Eigentlich ist mir eher …«
    Ich beugte mich im Stuhl vor und lächelte sie aufmunternd an.
    »… nach einer Cervella alla Caprese.«
    »Ach so. O ja, das hört sich nett an.«
    Cassie beugte sich in ihrem Stuhl vor und sagte: »Kalbshirn.«

    »Was?«
    »Kalbshirn in Butter, Kapern und Knoblauch.«
    »Ich hasse Kapern.«
    »Kalbshirn -«
    »Hör auf, immerzu ›Kalbshirn‹ zu sagen«, flüsterte ich.
    »Kalbshirn ist was Richtiges zu essen!« Cassie knallte die Speisekarte zu und fasste nach ihren Zigaretten. »Essen, das interessant schmeckt. Essen für Erwachsene. An manchen Tagen denkst du schon beim Aufwachen, heute muss ich unbedingt etwas Vernünftiges essen.«
    »Schon kapiert, du bist in mieser Stimmung, aber warum solltest du deshalb etwas Ekliges essen wollen?«
    Cassie erdolchte mich mit einem Todesblick.
    »Das arme kleine Kälbchen«, redete ich weiter. »Es ist doch noch ein Baby. Ein armes kleines Baby mit staksigen Beinchen. Du möchtest das Hirn eines armen kleinen Babys essen.« Ich schluckte schwer. In meiner Kehle saß ein dicker Kloß, und wenn ich nicht aufpasste, würde ich mitten im Bella Italia losheulen.
    Cassie zog an ihrer Zigarette und stieß den Rauch zwischen den Zähnen hervor. Man bräuchte im illustrierten Wörterbuch nur unter »vor Zorn qualmen« nachzuschlagen, und schon hätte man meine Schwester vor Augen.
    »Elizabeth.« Sie nahm meine Hand und drückte sie.
    Ich lächelte verunsichert. Vielleicht irrte ich mich. Es war eine liebevolle Geste, wenn man davon absah, dass ich ihre Zigarette praktisch im Gesicht hatte. Ich wedelte den Rauch mit der freien Hand beiseite. Sie sah mich mitleidig an und hob ihre Hand in einer schnellen, kantigen Geste, sodass ihre Zigarette auf einer Höhe mit meinem linken Ohr war und ich eine Sekunde fürchtete, sie wollte mir den Hitlergruß zeigen.

    »Elizabeth«, sagte sie noch mal. »Du gehst voller Angst durchs Leben. Du solltest deinen gastronomischen Horizont erweitern. In einem japanischen Restaurant habe ich einmal Hühnerherzen am Spieß gegessen, und ich schwöre dir, es war eines der besten Gerichte, die ich je gekostet habe.«
    Ich schluckte mühsam. »Ich -«
    »Aber Kalbshirn schmeckt göttlich. Ein bisschen nach Rindfleisch, aber gleichzeitig weich und cremig …«
    Während ich aufs Klo rannte, um meine eigenen Innereien zu erbrechen, hörte ich Cassie noch mit glockenheller, klarer Stimme bestellen: »Ja, ich habe mich tatsächlich entschieden. Die Tortellini mit Spinat und Käse in Tomatensoße, bitte. Solange sie nicht zu scharf sind. Das sind sie doch nicht, oder?«

KAPITEL 5
    Alle anderen waren dafür umso netter. Selbst die Jungs im Büro waren ganz gerührt.
    »Ah, ein Baby, wie niedlich!«, sagte mein Boss Fletch, der stellvertretende Chefredakteur. »Du kluges Mädchen! Ich hätte so gern ein Baby! Ich bin echt so was von bereit!«
    »Wirklich?«, fragte ich. Fletch »ging« mit einem Pornosternchen (C-Klasse). Davor war er mit einer Lesbe zusammen gewesen. Und davor mit einem richtig netten Mädchen aus der Nachbarschaft. Und ihrem Ehemann.
    Toby, der Chefredakteur, ließ mir von seiner Assistentin einen Strauß weißer Rosen bestellen. Toby war ein professioneller Charmeur. Nichts ging ihm wirklich nahe, seine Herzlichkeit versprühte er nur im Dienst einer höheren Sache: Er war scharf auf einen Posten im Management. Ein Geplänkel mit Toby war für mich wie billige Schokolade - nett, aber mit einem klebrigen Nachgeschmack. (Tim konnte trefflich parodieren, wie er sich Toby in einer Redaktionssitzung vorstellte: »Denkt euch einen Sport, den man im Anzug ausüben kann!«)
    Selbst der Rest der Truppe - eine Ansammlung von Männern, die im Verlauf eines Tages unausweichlich am Lichtkasten zusammentrafen, um auf endlose Bilderreihen von nackten Brüsten zu starren - erweckte längst verschüttete Erinnerungen an ihre Mittelklasseerziehung zu neuem Leben
und erklärte mir aufrichtig: »Wir haben uns schon gedacht , dass deine Brüste größer geworden sind!«
    Ich nahm das als Kompliment. Ich war eine von drei Frauen unter zwölf Männern und konnte manchmal nur mit Mühe dem inständigen Wunsch widerstehen, sie allesamt abzuknallen, um der

Weitere Kostenlose Bücher