Meine Schwester und andere Katastrophen
Zivilisation einen Gefallen zu erweisen. Sie waren dermaßen ehrlich, dass ich oft wünschte, ich wäre taub. Sie waren gnadenlos. Nachdem Mariella, die Moderedakteurin, in einem Anfall geistiger Umnachtung mit einem freien Autor namens Bill Marks geschlafen hatte, hatten sich die Kerle so die Mäuler über sie zerrissen, dass es niemanden überraschte, als sie kündigte und einen Job in den zivilisierteren Gefilden des Magazins Nutz annahm. Wie Fletch damals bemerkte: »Als wäre es nicht schlimm genug gewesen, die Erfahrung einmal gemacht zu haben, musste Mariella sie jeden Tag von neuem durchleben.«
So nett und amüsant meine Kollegen als Individuen waren, so barbarisch waren sie als Gruppe. Während Toby den Werbekunden in teuren Restaurants Honig ums Maul schmierte, trieben seine Untergebenen in der Redaktion groben Unfug, lasen während der Arbeitszeit Pornos auf der Toilette und erleichterten sich hinter Tobys Wildledersofa (er hatte ihnen keine Gehaltserhöhung geben wollen). Ich für meinen Teil träumte davon, sie allesamt wegen sexueller Belästigung, Diskriminierung oder allem zusammen zu verklagen und mich anschließend in einer Luxusvilla in der Sandy Lane zur Ruhe zu setzen, aber ich konnte sie trotzdem gut leiden. Einmal druckten sie im Magazin den Leserbrief eines Knastbruders ab, der sich beschwerte, er habe über dem Bikini eines Models ein Schamhaar entdeckt, und machten sich darüber lustig. »Man mag es kaum glauben, aber Frauen haben tatsächlich Schamhaare!«
Ich war ihnen dafür dankbar, was wahrscheinlich falsch war.
Ich betrachtete meinen Job als Training. Ich war wie ein Forscher aus vergangenen Zeiten, der unbekannte Weltgegenden erkundet. Als Assistentin des stellvertretenden Chefredakteurs arrangierte ich Interviews mit den »Stars«. Eine verzogene kleine Soapdarstellerin rief bei uns an, ohne ihren Agenten zu informieren, und beharrte darauf, dass wir ihr ein Honorar zahlten. Fletch: »Wie fänden Sie es, wenn wir Ihnen das Gleiche zahlen wie Robert De Niro?«
Sie: »Ja. Okay.«
Fletch: »Wunderbar! Ich schreibe Ihnen gleich einen Scheck über null Pence aus.«
Außerdem recherchierte ich über Orgien-Gepflogenheiten, Sportuhren, interessante Wunden und absonderliche Fakten. Toby drängte uns immer: »Denkt highquality-mäßig!«, doch die hinteren Heftseiten erzählten eine andere Geschichte: »Nie wieder Haarausfall! Heiße Nummern! Karens Escortservice …«
Ich liebte es, meine Kollegen dabei zu beobachten, wie sie sich atemlos bemühten, die Models ins Bett zu kriegen. Wie Fletch mir erklärte: »Wenn ein Model mit dir schläft, ist das, als hätte dir der liebe Gott ein Geschenk gemacht!« Und ich verbrachte viel Zeit damit, ›Nein‹ zu sagen, wenn irgendwer außer Fletch fragte, ob ich nicht kurz auf einen Kaffee mitkommen wollte oder um etwas Süßes oder Hämorrhoidencreme zu kaufen. Nun gut, ich verfügte natürlich über eine effektive Waffe, mit der sich besonders hartnäckige Jungs abwehren ließen: gynäkologische Schilderungen. Ich brauchte nur anzusetzen: »Ich musste nachschauen lassen, und das Spekulum war …«, und schon wichen sie vor mir zurück wie Schnecken vor dem Salz. Diese Männer konnten den ganzen
Tag Pornoseiten voller Vaginas anstarren. Aber sobald man ihnen eine in einem medizinischen Lehrbuch zeigte, hingen sie würgend über der Kloschüssel.
Ich machte die Erfahrung, dass Männer über alles Witze reißen. Sie leben, um zu beleidigen; für sie ist das ein Zeichen von Männlichkeit (im Gegensatz zu Blödheit). Einstmals hängten sich die Jäger Elchköpfe als Trophäen ins Wohnzimmer. In unseren Büros wurden die wutentbrannten Briefe eifernder Christen an die Wände gepinnt. Meine Kollegen konnten sich endlos darüber auslassen, wie winzig ihre Penisse waren (ich glaube, sie machten sich selbst über ihr Geschlecht lustig, damit es kein anderer tat). Ab und zu wurden sie gewalttätig, aber sie waren miserable Kämpfer. Einerseits warfen sie gern mit Dingen um sich - Bällen, Dartpfeilen, Computern -, andererseits landeten sie praktisch nie einen Treffer.
Aber was ich an Männern mochte? Sie waren vielleicht schmutzig, faul, oberflächlich, verhätschelt, eitel, egoistisch, unhöflich, irrational, anspruchsvoll und dreckig - damit meine ich die intelligenteren unter ihnen -, aber sie machten nie ein Geheimnis daraus, wenn ein Kerl sauer auf einen anderen war.
An dem Tag, an dem Cassie zwei Stunden mit mir verbracht hatte, ohne mir zu
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