Meine Schwester und andere Katastrophen
waren - ich glaube, weil die Wärme und Enge ihrer Beziehung unsere eigene - angeschlagene und abgenutzte - umso schäbiger aussehen ließ.
Außerdem konnte ich den Gedanken nicht abschütteln, dass Tim der bessere Mann war.
Wie man sieht, war ich in der Zwickmühle. Ich wollte ein Baby haben - George und ich probierten immer noch -, doch war der Sex inzwischen kalt und herzlos, weil ich George nicht mehr haben wollte. Ein Baby ohne Vater … du musst es ihm sagen … aber dann bekommst du kein Baby … darüber mache ich mir jetzt keine Gedanken. Das überlege ich später, wenn ich das Baby habe. Die Gedanken kreisten mir im Kopf. Was für ein Schlamassel. Es kam mir vor, als hätte ich plötzlich überhaupt nichts mehr, während Lizbet alles hatte.
Doch nicht lange. Mummy rief an und erzählte es mir mit tonloser Stimme. Ich hörte ihr zu, ohne ein Wort zu sagen.
Ich sagte: »Geht’s Lizbet einigermaßen? Ich meine gesundheitlich?«
»M-hm«, sagte Mummy. Sie stieß ein merkwürdiges Stöhnen aus und legte auf. So viel von der Frau, die meine Schwester aufzumuntern versucht hatte - nachdem Letty Jacksons Perserkater in unseren Garten gekommen war und die Halsschlagader von Lizbets schlappohrigem Karnickel Muffy durchgebissen hatte -, indem sie ihr tröstend erklärte: »In hundert Jahren sind wir alle tot, dann ist das alles egal.«
In hundert Jahren sind wir alle tot, dann ist das alles egal.
Es überzeugte nicht. Ich ging in die Küche und riss die Tür des Geschirrschranks auf. Dahinter stand unser phantastisches Hochzeitsservice, unser kompletter und kostbarer Satz
von Royal-Worcester-Porzellan in Mountbatten-Kobalt. Es war mir das Liebste, was wir hatten. Es kündete von anderen Zeiten. Es verhieß ein elegantes, zivilisiertes, vornehmes Leben. Jedes einzelne Stück war glatt und wunderschön. Ein einziger Teller kostete dreißig Pfund. Die Suppenterrine mit Deckel kostete zweihundertfünfundsiebzig Pfund. Ich nahm jeden einzelnen der zwölf Teller aus dem Fach, wickelte ihn vorsichtig aus dem weißen Seidenpapier und ließ ihn auf den Boden fallen, einen nach dem anderen, bis ich barfuß in einem glitzernden Meer von Porzellanscherben stand.
»Was tust du da?«, schrie George mich an.
»Ich habe dich nicht kommen gehört«, sagte ich. Ich hob die Suppenterrine mitsamt Deckel aus ihrem Seidenpapiernest und drückte sie liebevoll an meine Brust.
»Nein!«, brüllte George. »Ich flehe dich an! Nicht die Suppenterrine mit Deckel!«
Wir sahen sie in hundert Stücke zerspringen.
»Bist du wahnsinnig ?«, kreischte George. »Hast du den Verstand verloren?«
Ich schüttelte den Kopf und griff nach dem Saucierenuntersetzer (vierundzwanzig Pfund). George schubste mich vom Geschirrschrank weg, ich verlor das Gleichgewicht und fiel hin.
»Ach du Scheiße«, sagte George, als meine Hände und Knie zu bluten begannen. »Ich wollte doch nicht - hast du dir was getan?«
Ich schnappte kurz nach Luft, obwohl der Schmerz ein gutes Gefühl war. Mir wurde rot vor Augen. Dann sagte ich, kaum hörbar: »Ich kann es immer noch nicht fassen. Meine Schwester hat ihr Baby verloren.«
Lizbet
KAPITEL 13
Das Gemeinste, was Cassie mir je angetan hat, musste ich während eines Familienurlaubs in St. Moritz ertragen, wo wir den zwanzigsten Hochzeitstag unserer Eltern feierten. (Unser Vater vergaß nie einen Geburtstag oder Hochzeitstag - er behielt die Daten im Gedächtnis, behauptete er, weil er sie nicht notierte.) Es war der hübscheste Ort, den wir je gesehen hatten, verschneit und glitzernd, als würde man ein niemals endendes Weihnachtsfest feiern. Ich stolperte die ganze Woche mit großen Augen herum, da unsere Ferien sonst eher kratzig waren. Das kam daher, dass sich unser Vater im Gegensatz zu seinen Kollegen weigerte, Gefälligkeiten von seinen Kunden anzunehmen.
Wir hätten gratis einen ganzen Monat in einer Strandvilla auf St. Barts verbringen können. Wir hätten in Monaco Silvester feiern und dabei gemütlich auf einer weißen Jacht durch die Bucht schippern können. Aber das taten wir nie. Stattdessen mieteten wir ein Ferienapartment auf Kreta mit einer antiken Küche und verstopften Rohren. (Wenn wir zum Strand gingen und vergaßen, die Klotür zu schließen, verschlug uns der Gestank bei Rückkehr den Atem, sobald wir die Tür zum Apartment öffneten.)
Unsere Mutter grollte damals den gesamten Urlaub. Ihr Gesicht verdüsterte sich schon am ersten Tag, als ein dreibeiniger Hund angehumpelt kam und sie
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