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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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hinterher und konnte es einfach nicht einholen.
    Ich empfand das als persönliche Beleidigung. Forrest Gump lag falsch. »Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen. Man weiß nie, was man bekommt.« Was für ein bescheuerter Vergleich. Bei einer Schachtel Pralinen weiß man genau , was man bekommt. Man braucht nur das illustrierte Beiblatt zu studieren, das gewöhnlich auf der obersten Schicht von Pralinen liegt, und bekommt detailliert Füllung und Aroma beschrieben. Wie sich herausstellte, war das Leben damit nicht zu vergleichen. Jeder einzelne Biss war ein ekelerregender Schock.
    Und das war noch nicht alles. Die Wahrheit, die mir schon
eine Weile im Nacken saß, hatte mich schließlich in ihren Klammergriff genommen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte - es war eine verfahrene Situation. Erst hatte ich geglaubt, es sei nur eine Phase, aber das war es nicht. Ich liebte George nicht mehr.
    Meine Mitmenschen - von George selbst einmal abgesehen - hatten noch nie recht verstehen können, was ich an George fand. Das Selbstbewusstsein, mit dem ihn seine Mutter ausgestattet hatte, hätte für zehn Männer gereicht; außerdem war er überzeugt, dass ihn alle Frauen unwiderstehlich fanden, obwohl er in einem Cosmopolitan -Quiz nicht einen einzigen Punkt gemacht hätte. Zum Beispiel war er unhöflich. Wir hatten uns in einem brasilianischen Restaurant in West-London kennen gelernt. Es war an Lizbets Geburtstag gewesen, eine ihrer Freundinnen hatte ihn mitgebracht. Er saß zwischen uns und ignorierte mich eine volle Stunde, während er uns erklärte, warum er ein passender Aufnahmekandidat für den Hochintelligenzclub Mensa gewesen wäre und Lizbet nicht.
    »Wie viel wiegst du? Gut. Und du bist nicht besonders groß. Du bist viszerotonisch-endomorph. Ich erklär’s dir: Wenn ein Kind auf die Welt kommt, besteht es zu gleichen Teilen aus Bauch, Muskeln und Gehirn, richtig? Allerdings ändert sich das bald. Manche Menschen, Schwarzenegger zum Beispiel, entwickeln im Lauf der Zeit mehr Muskeln als Eingeweide« - Georges Beispiele hinkten immer gut dreißig Jahre hinterher -, »während sich bei anderen das Gehirn so effektiv entwickelt, dass der Verstand größer ist als der Bauch. Wie bei mir zum Beispiel. Fass mal an meinen Oberarm. Nur zu. Spürst du irgendwas? Los, versuch’s! Los! Siehst du? Du bekommst nichts zu greifen, nicht wahr? Und findest du nicht, dass mein Kopf eher groß ist? Damit das
Gehirn Platz hat, verstehst du? Während dein Kopf eher mittelgroß ist. Du tendierst eher … zum Bauch.«
    Er brachte mich zum Lachen. Er war unglaublich von sich eingenommen. Viele Männer wagten mich nicht einmal anzusprechen. Was für Jammerlappen. Und wenn sie es taten, fehlten ihnen die Worte. George hatte immer etwas zu sagen, selbst wenn es Unsinn war. Ehrlich, George hätte man in eine Wurstpresse füllen können, und niemand hätte sich gewundert, wenn er gequasselt hätte, bis sein Kopf im Trichter verschwunden und am anderen Ende als Würstchen wieder herausgekommen wäre.
    Als er sich schließlich dazu herabließ, meine Anwesenheit zu bemerken, sagte er: »Ich kann kaum glauben, dass ihr Schwestern seid. Ihr seht euch gar nicht ähnlich. Wer hat eigentlich dieses Restaurant ausgesucht? Der Wein ist gut, aber … überall ist Fleisch . Alle fünf Sekunden fuchtelt jemand zwei Zentimeter vor meinen Augen mit einem Fleischlappen und einem scharfen Messer herum. Fast wie früher, als ich bei meiner Mutter freitagabends Horrorfilme anschaute.«
    George sagte immer »bei meiner Mutter«, wenn er vom Haus seiner Eltern sprach, so als wäre sein Vater ausgezogen und würde irgendwo weit entfernt in einem Zelt leben. George gab definitiv nicht viel auf seinen Vater oder dessen überbordende Liebe. Einmal erzählte er mir, dass ihn sein Vater »als Kind oft bedrohte«. Das überraschte und enttäuschte mich, denn ich konnte mir keinen friedfertigeren Menschen als Mr Hershlag vorstellen. Was genau hatte er getan?
    George gab zum Besten, wie sein Vater am Frühstückstisch gesessen hatte, als er, George, fünfzehn Jahre alt gewesen war. »›Wenn du einen Abschluss machst, dann kaufe ich dir ein Auto! Aber nur wenn du einen Abschluss hast! Kein Abschluss, kein Auto! Und dass du nur keine Drogen nimmst!
All die Kinder, die ich auf der Straße sehe, die sind alle drogensüchtig! Wenn du drogensüchtig wirst - siehst du das Messer?‹« In diesem Moment zielte Mr Hershlag mit dem Finger auf das Brotmesser. »›Nimm es! Nimm es

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