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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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und bring mich um! Bring mich um!‹« Und mit beiden Handflächen auf seine Brust schlagend: »›Hier hinein!‹«
    Selbstverständlich hatte George seinen Abschluss gemacht, ein geschenktes Auto hätte er sich auf keinen Fall entgehen lassen. In seiner Skrupellosigkeit, die eigenen Eltern bis auf den letzten Penny auszupressen, erinnerte er mich an mich selbst. Sie hätten obdachlos auf der Straße leben können, ehe er sich auch nur ein wenig einschränkte. Während des ersten Semesters seines Studiengangs »Medien, Kultur und Gesellschaft« behauptete er, Birmingham sei sibirisch kalt, woraufhin Mr Hershlag postwendend Geld für einen Wintermantel schickte. George kaufte sich dafür sofort … einen Wintermantel. (Ich: »Ist es dir nicht schwergefallen, das Geld nicht zu versaufen?« Er: » Nein! Mir war kalt! «)
    Er war einfach nicht unterzukriegen. Sein ehemaliger Zimmergenosse im College nannte ihn einmal »ein Stück Kacke im Klo, das sich nicht runterspülen lässt«. Das war vielleicht ein bisschen deftig ausgedrückt, aber die Essenz des Gleichnisses traf. Sosehr man sich auch bemühte, George schwamm immer obenauf.
    Anfangs blieb ich ihm gegenüber betont cool, richtig frostig, aber er war so von seinem Charme überzeugt, dass ihm das gar nicht auffiel. Bei unserem ersten Date, das George zwanzig Minuten nach unserem ersten Wortwechsel und ohne meine Zustimmung angeordnet hatte - »Wessen Schulter? Eines Lammes ? Igitt! Cholesterinhammer! Nein danke!« Und an mich gewandt: » Ich werde dir zeigen, wo man richtig gut isst« -, gingen wir zu einem aalglatten Japaner,
wo wir auf harten Stühlen saßen und etwas rohen Tunfisch mit Reis zu uns nahmen. (Noch bevor das Essen serviert wurde, legte George die Stäbchen beiseite und griff zur Gabel.) Er faszinierte mich. Er war witzig und brachte die Dinge auf den Punkt. Er sagte das, was er dachte, nicht das, was die Leute hören wollten.
    Erst als die Welt nicht genauso verzückt auf Georges Brillanz reagierte wie seine Eltern, ging es mit ihm bergab. Er hatte es mit Geschick in die BBC geschafft (indem er in seinem Lebenslauf behauptet hatte, Halbrusse zu sein - »im Grunde kommt es nur darauf an, so kosmopolitisch wie möglich zu wirken«). Absolventen aus Oxford und Cambridge hätten sich um den Job, den er bekam, geprügelt, obwohl Sendeassistenten miserabel bezahlt wurden und schuften mussten wie die Ochsen, aber George hatte diesen Job immer nur als kurzes Intermezzo betrachtet, weil schon bald der Intendant persönlich an seine Tür klopfen und ihn anbetteln würde, Hörspiele zu produzieren. Nur dass es dort keine freien Stellen gab. George konnte lediglich darauf hoffen, dass einer seiner Kollegen starb.
    Inzwischen wartete er seit sechs Jahren und war es leid, immer derjenige zu sein, der über die Straße laufen und Geburtstagskuchen holen musste. Er war verbittert. Seine Kollegen hatten das noch nicht bemerkt, aber ich.
    Anfangs nicht. Aber die Entdeckung - und der Verlust - meiner leiblichen Mutter warf ein grelles Licht auf unsere Beziehung, und plötzlich fiel mir vieles auf, worüber ich bis dahin hinweggesehen hatte.
    Vor allem, als wir kein Baby bekamen und George so tat, als wäre ich an seinem Unvermögen - in jeder Hinsicht - schuld. Wir hatten ein Haus, ein Auto und einen Lebensstil als Aushängeschild für meinen Erfolg, und da begann mir
zu dämmern, dass er neidisch war. Er wusste genau, dass er kein Partner für mich war, sondern eine Last. In seinem Groll verwandelte er sich in ein altes Weib. Er war mürrisch mir gegenüber, vergraulte meine Freunde und war ein regelrechter Pedant, was den Haushalt anging. Ständig schob er mir ein Platzdeckchen unter die Kaffeetasse. Wenn ich den Geschirrspüler einräumte, räumte er ihn um. Und wir durften erst im Wohnzimmer sitzen, als wir die idealen Sofas gefunden hatten.
    George war groß und dünn, hatte dunkles Haar und einen Bauchansatz. (Lizbet hatte bei ihrer Geburtstagsfeier vor vielen Jahren tatsächlich seinen Bizeps betastet und - leicht beschwipst - ausgerufen: »Da ist wirklich nichts!«) Aber gut aussehende Männer langweilten mich, und außerdem hatte mich damals vor allem Georges Arroganz angezogen. Jetzt hatte er sie verloren, und der Bann war gebrochen. Alles, was er tat, ging mir auf die Nerven. Zum Beispiel sagte er »Kaukau« statt »Kakao«. Du kaust ihn nicht! Du trinkst ihn!
    Und dann kam Das Kunstprojekt . George beschloss, dass er nicht prätentiös genug war, und

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