Meine Väter
Verzweiflungen dieser Zeit. Die Geschichte eines Mannes, der in einem Zustand der Gewalttätigkeit lebte und liebte. Ein Leben wilder erotischer und politischer Verwicklungen im »Dritten Reich«, die mich faszinierten.
Es war wie ein Fluch, der über seinem Leben lag.
Dann ein Volltreffer: In einer tomatenroten Mappe entdeckte ich einige pathetische Kapitel aus dem überarbeiteten Protokoll , an dem er noch schrieb. Mich schockierte die Offenheit, doch war es wirklich Offenheit? Das Schwanken zwischen Selbstverteidigung und vernichtendem Urteil. So mitreiÃend ich den Einfall einer Gerichtsverhandlung fand, so gering war mein Bedürfnis, über meinen Vater Gericht zu halten.
Wahr? Eher ein kunstvolles Geflecht aus akrobatischen Verrenkungen und Tricks.
Sein Leben war so aufregend und umtriebig verlaufen!
Bewundert sie seine Lebensart? Wahrscheinlich nicht, obwohl es vorstellbar wäre.
SchlieÃlich entdeckte ich ein unfertiges Kapitel, das von Vatersuche und Vaterverleugnung handelte, eng beschrieben wie seine Karten aus der Gefangenschaft.
Fühlte sie in einer schrecklichen Vorahnung, daà sie den Schlüssel zu seinem Leben in Händen hielt?
Dann bemerkte ich seine zierliche Druckbuchstabenschrift, mit der er die Rohfassung korrigiert hatte.
Widerrufe. Konträre Gedanken. Gab es mehrere Versionen seiner Ehrlichkeit?
Ich wuÃte nur eins: Daà dieser Angeklagte keineswegs der Vater war, den ich kannte.
War es nicht so, daà sie begann, eine gewisse Skepsis zu entwickeln und geheime Vorbehalte gegen ihren Vater zu hegen, was seine moralische Substanz betraf?
Sie ist sich ihrer Unsicherheit bewuÃt.
Als meine Eltern sich scheiden lieÃen und er zu seiner neuen Frau zog, war ich der Ansicht, meine Mutter habe ihn nicht richtig zu schätzen gewuÃt.
Der Vater verlieà uns tobend, weil er unfähig war, seine Gefühle zu zeigen. Er haute einfach ab. Ich fand, daà er es gewaltsam tat.
Wenn der Vater die Familie verläÃt und das Mädchen gerade zwölf ist, bleibt da nicht eine gewisse Verletzung? Das nur nebenbei, sie will es nicht vertiefen.
War mein Vater nun der Sohn jenes Mannes, der ihn aufgezogen hat oder war er es nicht?
Ich versuchte, den Zweifel aus meinem Kopf zu bekommen.
Etwas stimmte da nicht, aber ich wuÃte nicht, was.
Der Papierkorb blieb leer. Jeder Tag, den er fehlte, entrià mir einige Blätter. Vaters Abwesenheit legte sich über alles. Inzwischen war ich fünfzehn, fühlte mich farblos, las alles, was mein Vater in unserer Bibliothek zurückgelassen hatte, um ein Zipfelchen seiner Identität zu erhaschen, und ich vermiÃte ihn (nicht zuletzt auch meine spannende Lektüre). Meine Schwester Franziska und ich durften den Vater besuchen. In Ostberlin, wo er ab 1954 mit seiner Frau lebte. Renate, die zupackende, kräftige Ãsterreicherin, die mit rotweiÃroter Zerstörungslust an den Grundfesten marxistischer Moral zu rütteln wuÃte und doch ihren Mann darin bestärkte, daà er die richtige Richtung einschlug. Die jeden Einwand mit eiserner Hand verscheuchte und die Tür zu seinen Widersprüchen verriegelte. Ich tat mein Bestes, mich ihrem Optimismus anzupassen, und lieà meinen Zettel mit den Fragen an den Vater im Koffer.
Später einmal, dachte sie.
Das bedauerte sie, als er 1959 starb.
Sie fühlte sich durch seinen Tod betrogen.
Was nun?
Die Zeiten in der DDR waren Zeiten neuer Gedanken. Vieles habe ich nicht gesehen, anderes nicht verstanden, vor manchem drückte ich mich. Ich fühlte mich ohnmächtig in diesem Szenario und hatte keine Argumente, um dem Neuen zu begegnen. Das waren andere Leute. Was sie sagten, klang so, als würden sie andere Räume erfassen. Sie hatten fremde Ziele.
Mein Bild des Kommunisten hat lange Zeit mein Vater geformt, das waren maÃregelnde Menschen, die mich immer wieder mit der Nase auf mein erschreckendes politisches Unwissen stieÃen.
Nach dem Tod meines Vaters fuhr ich lange Zeit nicht mehr hin, doch begleitete mich die Empfindung einer Gespaltenheit und Unvollständigkeit. Erst in der Zeit meiner ersten Ehe mit einem Schriftsteller aus Altenburg stieà ich die Tür zur DDR wieder auf.
Dann kam eine überraschende Phase in ihrem Leben: Lange Jahre dachte sie nicht mehr über ihre Familie nach. Der GroÃvater war ihr ohnedies egal.
Wenn man nicht weiÃ, was stimmt und was nicht, dann verliert alles an Bedeutung.
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