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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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herauskriegen, wie es dazu gekommen ist.
    Was war da mit ihr los?
    Sie muß zurück in ihre kindlichen Erfahrungen. Muß die Erlebnisse jener Zeit heraufbeschwören.
    Das Schweigen des Vaters, das Schweigen der Mutter, das Schweigen des Großvaters selbst, ihr eigenes Schweigen – ihr Versäumnis, das Schweigen rechtzeitig durch Fragen zu brechen.
    Wo waren meine Neugierde, mein Verstand? Warum ließ ich mich so lange einwickeln und blieb Komplizin in diesem Gerede der Mutterfamilie um Adel, siebenzackige Kronen und Familienehre? Warum war dieses kleine Mädchen so unaufmerksam gegenüber dem anderen Teil der Familie, so einfältig?
    Wie kam es zu dieser verzerrten Wahrnehmung?
    Geflüster. Schweigen. Auslassungen. Andeutungen.
    Woher sollte ich etwas erfahren? Niemand sagte mir, daß es auch Onkel und Tanten väterlicherseits gab, während es mütterlicherseits von Tanten und Onkeln nur so wim
melte. So gab es auf der Vaterseite auch keine Verpflichtungen, keine Besuche, und nie fuhren wir zum Geburtstag oder Begräbnis irgendeines väterlichen Verwandten.
    Alle Fäden abgeschnitten.
    Aus dem Schweigen zog sie lange Zeit Gewinn. Sie mußte sich nicht bemühen. Es entsprach der Familienmoral. War Kennzeichen ihrer Generation. Als »Flüchtlingskind« lebte sie isoliert, träge, unsicher, verträumt. Im Nichtfragen war sie geradezu Meister.
    Sie fordert von sich Genauigkeit.
    Ich war vier Jahre alt, als wir von Berlin nach Goisern im Salzkammergut zogen, wo ich zwei Jahre später, im Sommer barfuß und unter Bombenbeschuß, ein paar Monate die Volksschule besuchte, bis die Tiefflieger kamen und bald Panzerwagen, Tanks, Sanitätswagen, der Troß mehrerer Armeen durch den Lazarett-Ort krochen, sie kamen über den Pötschen-Paß.
    Ã–sterreich, die »letzte Bastion der deutschen Kultur im Falle einer Weltkrise«, wie mein Vater schrieb.
    Nach Goisern kamen damals auch meine Großeltern väterlicherseits, doch das wußte ich nicht. Das war 1944, als in Wien die Bombenangriffe begannen.
    Ab und zu besuchte uns meine, wie ich meinte, einzige Großmutter, die Mutter meiner Mutter, und dann tuschelten die beiden Frauen so allerhand, das ich nicht begriff. Ich schnappte nur eines früh auf, daß mein Vater, der »keinen Nagel in die Wand schlagen« konnte, ein berühmter Mann sei, doch davon merkte ich nichts.
    Ich fürchtete mich vor etwas, das der Vater verschwieg.
    Es ging ihm nicht gut.
    Seine kümmerlichen Versuche, zu scherzen, ließen mich geknickt zurück, weil ich spürte, daß anderes dahinterstand. Er kam, verschwand, kam wieder, ging, und meine
Mutter saß allein in der Küche und brach in Tränen aus. Ich fühlte, daß er uns nicht beschützen konnte. Im Gegenteil. Er lieferte uns aus. Ich hatte Angst.
    Verwirrendes ging um ihn vor. Ich schnappte Worte auf, die ich nicht verstand. Wehrkraftzersetzung. Sippenhaft. Kassiber. Wehrmachts-Untersuchungsgefängnis. Heeresgericht. Znaim. Gefepo-Patrouillen. Krank und ausgemergelt war er nach dem Krieg zurückgekommen und wurde für zwei Monate Bürgermeister von Goisern, weil er nach seiner NS -Liebäugelei kurz im Widerstand gewesen war und Englisch sprach. Er trug Lederhosen mit Wollstutzen, lüftete den Steirerhut mit Gamsbart, wenn jemand vorüberging, und sagte »Habe die Ehre, Genosse«. Habe die Ehre, Genosse, plapperte ich nach.
    Dann saß er im Dachkämmerchen und schrieb an einer Dramatisierung des Märchens vom Däumling für einen befreundeten Trickfilmzeichner. Davon konnte er spannend erzählen und mich, selten genug, zum Lachen bringen. Mit meiner Mutter lachte er nie.
    Vielleicht hatte es etwas mit dem Umzug 1947 zu tun. Wir lebten inzwischen in Urfahr bei Linz, in der russisch besetzten Zone, und mein Vater arbeitete seit Ende 1945 als Redakteur bei der KP -Zeitung Neue Zeit. Lange trauerte ich Goisern nach. Wenn ich zurückdenke, verbindet sich das mit einem Gefühl des Wachsens. Ich schrieb Tagebuch.
    Mit einemmal fragte ich mich, wer ich war.
    Geschieht endlich etwas mit ihr? Lichten sich die Nebel?
    Wachheit wurde ihr wahrhaftig nicht in die Wiege gelegt.
    Eine Zeit der Umstellung. Ich gewann Schulfreundinnen. Urfahr und Linz, das war Stadt. Da konnte man nicht unter Bäumen träumen. Man mußte etwas tun.
    Meine Mutter, die irgend etwas mit meiner Großmut
ter tuschelte und mitten im Satz

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