Meine Väter
Wahrscheinlich trug er, wie auf den Goiserer Fotos zu sehen, seine Trachtenjacke.
Ich habe keine Erinnerung daran, daà mein GroÃvater uns einmal besucht, seine Enkelkinder je gesehen hätte. Die Ausnahme, die ich noch erinnere, unseren Besuch bei ihm, verdanke ich den auf seinem Tellerrand aufgereihten Haferflockenspelzen. Ob er sich mit meinem Vater heimlich getroffen hat, weià ich nicht. Möglich ist es.â
Heute stellt sich mir die Frage, wie mein GroÃvater Ferdinand mit den Herausforderungen und Krisen, den einschneidenden Veränderungen nach dem Zusammenbruch des sogenannten GroÃdeutschen Reichs zurechtkam. Sicher fand er den liberalen Kurs der provisorischen Regie
rung Ãsterreichs nicht falsch, jene wieder in die Gemeinschaft des Volkes zu integrieren, die aus »Willensschwäche, infolge ihrer wirtschaftlichen Lage, aus zwingenden öffentlichen Rücksichten, wider innere Ãberzeugung und ohne an den Verbrechen der Faschisten teilgenommen zu haben, mitgegangen sind«, so hieà es in einer Regierungserklärung. Von seiner deutschnationalen Gesinnung aber wird er wohl nicht abgewichen sein â die Vierteilung durch die Besatzungsmächte war ihm sicher ebenso ein Dorn im Auge wie den vielen Hakenkreuzlern, von denen es im Salzkammergut immer noch reichlich gab. Daà hier nicht die Sowjets, sondern die Amerikaner das Sagen hatten, war ihm allerdings ein Trost. Am 28. Januar 1946 schrieb er an seinen Enkel Friedl (Fred Adler) in Los Angeles, er wäre »glücklich, amerikanische Zone zu sein«, denn: »unsere amerikanischen Freunde befreiten uns von dem Nazi-Terror«.
Der Sommerfrischeantisemitismus hatte überdauert, und Entnazifizierung wurde in Ãsterreich als Freisprechung von jedem Schuldvorwurf ausgelegt. Die wenigsten mögen es als zynisch empfunden haben, daà die durch ihre aktive Nazi-Vergangenheit Belasteten bereits vor der Amnestie amnestiert worden waren.
Auch wenn sich ab und zu überlebende Juden zeigten, so war es mit dem Judenhaà keinesfalls vorbei. Sie lebten scheu, wollten nicht auffallen und keinesfalls die Antisemiten reizen. Ein wenig eifersüchtig mag Ferdinand vielleicht auf die Emigranten gewesen sein, die sich wieder offen zum Judentum bekannten und in der Presse plötzlich Anerkennung und Hochachtung ernteten. Er blieb das, was er aus sich gemacht hatte, korrigierte nichts und wäre wohl niemals auf die Idee gekommen, seine Vergangenheit zu widerrufen.
Er hatte überlebt und hüllte sich weiterhin in Schweigen.
Darin bestand seine Wahrheit.
Ferdinand Bronner starb 1948, elf Jahre vor seinem Sohn Arnolt, in aller Stille im Krankenhaus in Bad Ischl, vergessen waren seine dramatischen Werke bereits zu seinen Lebzeiten. Niemand schmähte ihn, keiner goà hämischen Spott über den amtlich zum Arier erklärten assimilierten Juden, dem ausgerechnet jener Pfarrer, der ihn mit Martha traute, noch in der Nacht vor der Hochzeit Hörner aufgesetzt haben soll.
Im Dezember 1945 wurde mein Vater Kulturredakteur der kommunistischen Zeitung Neue Zeit ; wir verlieÃen 1977 Goisern und zogen nach Urfahr bei Linz an der Donau.
Er war Kommunist geworden. Obwohl ich noch Kind war, habe ich diese Veränderung wahrgenommen, ohne sie jedoch zu begreifen. Er benutzte fremde Worte. Verklärte Arbeitergeschichten. Die pathetisch vorgetragene Geschichte vom Holzfäller, aus dem ein Schriftsteller wurde. Das Verbot, mit einer Schulfreundin zu spielen, deren Vater Nazi gewesen war.
Seine Selbstauskunft im Protokoll stellt es so dar, als sei sein Leben ein langer Weg hin zum Kommunismus gewesen und sein Umzug 1954 nach Ostberlin die Konsequenz. Lese ich sein Buch Tage mit Bertolt Brecht , in den letzten Lebensjahren geschrieben, so hat er bereits in den zwanziger Jahren kommunistische Ãberlegungen gehegt, Träume, die Brecht verspottete: »Geist und Intellekt zogen mich nach links, Gefühl und Leidenschaft rissen mich nach rechts«, schreibt er im Protokoll. Dieser Zwiespalt zieht sich auch durch sein Werk.
Zu seiner Verteidigung hätte er sich auf die Brüder Gregor und Otto Strasser berufen können, die früher einen
sozial-revolutionären Kurs der NSDAP verfochten. Bronnens Crux aber war, daà er weder in die »Innere Emigration« ging noch (wie Gregor Strasser) emigrierte und zusätzlich seine Abstammung arisierte.
Seine Erwiderung auf die Angriffe der Presse, die ihn beim
Weitere Kostenlose Bücher