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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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Martha nach Berlin fahren, um vor einem Oberlandesgerichtsrat, einem Staatsanwalt und einem Beisitzer auszusagen. Die erste Verhandlung wurde vertagt, da ihre Aussagen nicht als von ihnen beeidet zu Protokoll genommen worden waren.
    In der zweiten Verhandlung erhob der Staatsanwalt Anklage gegen Arnolt Bronnen auf Feststellung seiner unehelichen Geburt und focht damit das Gutachten der Wiener Reichsstelle für Sippenforschung vom 1. April 1939 an, das ihn als Halbjuden eingestuft hatte. Man stellte das Fehlen aller jüdischen Rasse-Merkmale bei ihm fest und »konstatierte bei mir Blut-Gruppe 0, während die Mutter und der Professor Blut-Gruppe A hatten«, so Bronnen im Protokoll .
    Am 5. Mai 1941 wurde Arnolt für unehelich erklärt und mußte den Namen der Mutter annehmen: »Schelle«. Zu seiner Entlastung hatte Bronnen angegeben, Dr. Ferdinand Bronner habe selbst unter Eid ausgesagt, er sei nicht der Vater, eine Aussage, die »vollkommen unbeeinflußt« durch ihn erfolgt sei.
    Das Reichssippenamt entschied neun Monate später, Arnolt sei »deutschen oder artverwandten Blutes«, also »Deutscher und deutschblütiger Herkunft« und Dr. Ferdinand Bronner nicht sein Vater. »Die Eheleute lebten bis Januar 1895 getrennt. Während der gesetzlichen Empfängniszeit hat die Kindesmutter mit dem Pfarrer Wilhelm Schmidt, gestorben 1913, geschlechtlich verkehrt, der augenscheinlich der Erzeuger des Angeklagten ist.« Es sei zwar nach einer vorgenommenen Blutgruppenun
tersuchung »nicht unmöglich, daß der gesetzliche Vater der Erzeuger des Beklagten ist«, aber der Beklagte weise keine kennzeichnend jüdischen Rassemerkmale auf. Die Erzeugerschaft des W.A. Schmidt sei eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich. Zudem habe Bronnen bei seiner Geburt 3500 Gramm gewogen und hätte eine normale Länge gehabt, könne also »offenbar unmöglich aus einem Geschlechtsverkehr vom Januar 1895 stammen«. 
    Und am 17. Oktober 1941 urteilte das Berliner Landgericht konträr zum Wiener Reichssippenamt, daß – welch Wunder – auch Dr. Ferdinand Bronner kein Jude sei.
    Arier beide, und das amtlich besiegelt.
    In seinem Protokoll merkt Arnolt Bronnen dazu lakonisch an: »Immer noch recht imposante Richter.«
    Dieser Satz, den sie so oft überlesen hat, bringt sie jetzt aus der Fassung. Wieder und wieder liest sie die Bescheide des Reichssippenamts, durchforscht Wort für Wort nochmals die Wiener Dokumente, in denen schwarz auf weiß steht, Ferdinand Israel Bronner sei nach dem Abstammungskodex und ersten Ergebnissen »Jude mit einer nicht geringen Anzahl jüdischer Rassenmerkmale«, ein anderes Mal wird festgestellt, Arnolt Bronnen sei »Mischling ersten Grades«, also Halbjude. Und nun »Arier«.
    Sie ist verblüfft. Empfindet eine quälende Verwirrung.
    Natürlich weiß sie nicht, aufgrund welcher Merkmale ein Mensch als jüdisch deklariert wird. Aber sie weiß auch, daß Ferdinand jenen, die es zu wissen glaubten, in die Hände gefallen war.
    Doch das ist nur das eine. Das andere ist: Sie weiß, daß er Jude ist.
    Wie ist dieses »Arier«-Urteil zustande gekommen, das Ferdinand vor dem Tod in jenem Ort rettete, in dem er geboren wurde?
    Wie dieses Geheimnis lüften?
    Das dritte Kriegsjahr – und die deutsche Wehrmacht in Stalingrad von der Roten Armee vernichtend geschlagen. Ein bestialischer Winter, in dem der Terror unvorstellbare Ausmaße annahm. Die oberste Führungsriege der Gestapo und SS , von der jetzt möglichen Kriegsniederlage unter Druck gesetzt, beschleunigte die »Endlösung« der Judenfrage, wie sie dann auf der geheimgehaltenen Wannsee-Konferenz offiziell beschlossen wurde.
    Eichmann, der von der totalen Ausrottung besessene Buchhalter des Todes, errechnete die Zahl von 10,3 Millionen Juden in Europa.
    Eine neue Generation von Lehrern, ausgebildet in Rassenkunde, Volkskunde und Grenzlandkunde, trat an den Schulen an.
    Ferdinand durfte in Wien weiterhin spazierengehen, Straßenbahn fahren, ins Café gehen. Er konnte Theater, Museen und Kinos besuchen und durfte ein Radio besitzen. Er durfte sich auf eine öffentliche Bank setzen, mußte nicht auf der Straße knien und sie mit bloßen Händen säubern, mußte nicht die Abtritte der SA -Kasernen schrubben, mußte nicht bis zum Umfallen Kniebeugen machen und im Chor Heil Hitler! brüllen. Er wurde nicht

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