Meine Väter
»Die 72jährige ragte noch wie ein Marmor-Fels in diese Zeit aus Schmutz und Sand.« In ihrer monumentalen Erstarrung und Unangefochtenheit findet Arnolt Bronnen Halt. »Bei ihr war alles klar, eindeutig, unanzweifelbar. Sie hatte immer alles Unechte, Arrogante und Intolerante gehaÃt, und also auch den Nationalsozialismus gehaÃt.«
Unkorrumpiert von aufpeitschenden Ideologien, behält die Mutter ihre Distanz. Ein Idealbild, das das andere Ich Bronnens verkörpern soll?
Wie bei seinem Vater Ferdinand ist es die Mutter, die dem entwurzelten Sohn das Gefühl von Schutz und Halt vermittelt, das er im zerrissenen Selbst nicht finden kann.
Mit ihrer Hilfe färbt Bronnen seine Wandlungen ein. Immer ist es die Mutter, die an entscheidenden Wendepunkten seines Lebens als »deus ex machina« agiert.
Der »Professor« hingegen, so Bronnen, »bedünkte sich, auf diese Zeit von souveräner Warte zu sehen.« Jedenfalls trug er sein Schicksal mit Demut und Bescheidenheit.
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36. Alp-Träume
Ich bin ein Jahr vor Kriegsausbruch geboren, doch mein Vater irrte sich, als er schrieb, Sirenen und Bomben »erschreckten sie (die Kinder) kaum«. Noch heute, wenn heulend eine Funkstreife an mir vorüberfährt, halte ich mir die Ohren zu und schlieÃe fest die Augen, als könnte ich auf diese Weise für meine Umgebung unsichtbar werden. Vage erinnere ich mich, wie wir im Dunkeln den Keller aufsuchen muÃten, oft mehrmals in der Nacht, flüsternde Erwachsene um mich herum, schlieÃlich die Flugzeuge der Amerikaner, die tagsüber tief über unser kleines Haus in Berlin-Kladow flogen.
Im August 1943 sehe ich uns im Zug, schwitzend, die Mutter in Mantel und Hut, von Koffern eingekreist. Sie zittert vor Anspannung, innerhalb eines halben Tages hatte sie den Hausstand aufzulösen, und der Vater muÃte Ausweispapiere und Karten für die Fernzüge organisieren. Währenddessen traf bei uns das von Ferdinand â so Hans Bronner, laut Bronnen im Protokoll jedoch von der Mutter â aufgegebene Telegramm ein: Zimmer in Goisern frei!
Von einer Stunde auf die andere fuhren wir los. Alles egal: mein Vater brauchte nicht nur ein Dach über dem Kopf. Er brauchte eine neue Heimat, einen neuen Glauben â und bald darauf eine neue Frau.
Es war eine Flucht, wenn auch nicht unbedingt die Flucht vor den Bomben. Wir sollten erst einmal mit der Mutter zur GroÃmutter mütterlicherseits nach Niederbayern, Arnolt fuhr nach Goisern, um sich die Wohnung anzusehen.
Erstmals wird ihr in aller Konsequenz klar, was das Ein
geständnis Ferdinands â Arnolt hat mir sehr geholfen â bedeutet: Es muà sie gegeben haben, diese tiefreichende solidarische Verbindung zwischen Vater und Sohn, sobald es ums existentielle Ãberleben ging.
Sie spürt, sie ist auf der Fährte.
Obwohl meine Mutter mir gegenüber immer bei der Meinung blieb, Vater und Sohn hätten sich bis zuletzt voneinander distanziert und kaum ein Wort miteinander gewechselt, stellt es sich mir anders dar. Einen Grund gab es für sie nicht mehr, mir die Wahrheit zu verschweigen. Mir bleibt allein diese Erklärung: Daà sie nur das sah, was sie sehen wollte und durfte.
Bevor meine Eltern Berlin verlieÃen, kam es noch zu einem weiteren, mir lange Zeit befremdlichen Vorfall: Unmittelbar vor der Abreise konvertierte der evangelisch getaufte Arnolt Bronnen zum Katholizismus und holte mit meiner Mutter die kirchliche Trauung in einem Eilverfahren nach. Heute sehe ich darin einen Akt der taktischen Anpassung: Er wollte als getaufter Katholik nach Ãsterreich und im Glauben geläutert in das kleine Goisern zurückkehren.
Nach der treudeutschen nun also die katholische Identität.
Neben der Taktik mag aber auch ein inneres Bedürfnis nach einem festen Halt mitgespielt haben. Während sein Vater nie in einer protestantischen Glaubenswelt lebte, auch wenn er ab und zu Martha zum Gottesdienst begleitete, schien der Sohn aus Angst vor dem Tod und der auf ihm lastenden Schuld Hilfe im Glauben gesucht zu haben. Mit dem jesuitischen Pfarrer Natschläger, den Arnolt Bronnen im Widerstand kennengelernt und mit dem er sich angefreundet hatte, verarbeitete er nachträglich seine Konversion.
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Mit dem geläuterten Vater kamen wir 1943 ins Kurbad Goisern mit dem Schwefelgeruch, »die gröÃte Nazi-Gemeinde im Salzkammergut«, so Arnolt Bronnen. Im August
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