Meine Väter
mich mit offenen Armen auf. Es ist, als hätte er nur auf diesen Moment gewartet. Er findet es seltsam, daà sich die beiden Familienzweige über all die Jahre gemieden haben. Ich wiederum finde es nicht verwunderlich: SchlieÃlich hat mein Vater einen Vaterschaftsprozeà gegen die Familie geführt.
Meine Vermutung, daà Günther nichts von einem jüdischen UrgroÃvater wuÃte, bestätigt sich. Man sprach nicht darüber, und als er, spät genug, nachfragte, erhielt er nur ausweichende Antworten. Doch ohne etwas Genaues über die Herkunft seines UrgroÃvaters zu wissen, hat Günther vor über zwanzig Jahren seine Tochter Sulamith getauft.
Ich kenne diese sträfliche Trägheit, die dazu verführt, das Schweigen mitzutragen. Mein Cousin Günther ist dreiundfünfzig Jahre alt und denkt heute, daà es für seine Kinder vielleicht nicht unerheblich ist, zu wissen, woher sie kommen.
Er ist beunruhigt, ob mein Treffen mit seinen Eltern ohne heftige Auseinandersetzung verlaufen wird. Ich antworte, daà ich kein Recht habe, zu verurteilen: nirgendwo wurde mir das Verschweigen deutlicher demonstriert als in meinem Elternhaus.
Günthers Vater, Dr. Hans Bronner, Enkel meines GroÃvaters und Sohn des Bruders meines Vaters namens Günther, ist eine andere Generation. Ich treffe ihn im Linzer Café Glockenspiel, wo er dem »Club der Namenlosen«, einem unpolitischen Akademiker-Verbund, der sich
primär mit Linzer Problematiken beschäftigt, angehört. Ein bescheidener, zurückhaltender Mann, über achtzig Jahre alt, der Landwirtschaft studierte, sich dem Zuckerrübenanbau widmete und aktiv für Natur- und Umweltschutz eintritt. Liebenswürdig und mit altösterreichischem Charme hat er früh eine Entscheidung gefällt: nicht aufzufallen und »gerade bei diesem Thema« vorsichtig zu sein. Er hat seinem Sohn lange nicht gesagt, daà sein Vater jüdischer Herkunft war und nie hätte er es gewagt, bei seinem Schwiegervater um die Hand seiner Frau anzuhalten, hätte jener davon gewuÃt. Ich könne nicht ahnen, wie groà der Antisemitismus in Ãsterreich immer noch sei, flüstert er und blickt sich vorsichtig im Café um, da ginge es nicht immer gemütlich zu.
Ich weià das und antworte, so hielte man die alten und neuen Braunen keineswegs in Schach, abgesehen davon gebe es heute keine Gefahr, wenn man sagte, daà man jüdischer Herkunft sei.
Von seinem GroÃvater weià Hans nicht viel; vielleicht möchte er aber auch nicht darüber sprechen. Aber er hat Fotos, von seinen Eltern, GroÃeltern und Ellida, die er später in seinem Haus am Pöstlingberg auf dem Tisch neben meinem Teller mit gerösteten Knödeln und Rührei ausbreitet. Und anhand der Fotos beginnt er doch ein wenig zu erzählen.
Wenn man Ahnen nachstellt, kann man an Witwen nicht vorübergehen. Ich wende mich an die Witwe meines Vaters, Renate, im ehemaligen Intelligenzviertel in Ostberlin. Sie war 1954 mit meinem Vater aus Linz dorthin gezogen. Ein befremdliches Land für sie mit seinen Spruchbändern und Fahnen, und Ideologien konnten sie schon gar nicht begeistern. Es gab Augenblicke, da hätte ich auf die Barrikaden gehen können, lautete einer ihrer Aussprü
che, aber sie wäre auch sehr schnell wieder heruntergeklettert und hätte sich alles in Ruhe angesehen.
Mit ihrer Naivität hatte Renate meinen brüchigen und sensiblen Vater angezogen, und er wiederum war so klug, ihr nicht alles zu erzählen. Sie war ihm eine groÃe Hilfe in ihrer unverbildeten Fröhlichkeit â als Kumpel ging sie mit ihm in die DDR und verstand es, ihn, soweit möglich, zu integrieren, war Bindeglied zu ein paar Freunden. Mit seiner Welt allerdings blieb er dort allein.
Die Witwe ist von Arnolt Bronnen auf das Tabu seiner Herkunft dermaÃen eingeschworen, daà sie meinem Vorhaben nur Verachtung entgegenbringen kann. Denn als ich ankündige, mich dem Leben des GroÃvaters widmen zu wollen, fällt sie mir kämpferisch mit Schauspieler-Tremolo und aufgerissenen, kastanienbraunen Augen ins Wort: Was willst du denn mit dem! Dieser eifernden Lehrerseele, diesem Schandschreiberling! Gib endlich Ruh' und laà diese alten Geschichten, sonst kriegst du's mit mir zu tun.
Die fast neunzigjährige Tochter eines k.â&âk. Offiziers wirft mir mit austriakischem Charme und amüsiertem MiÃfallen einen
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