Meine Väter
quicklebendigen, aber abschätzigen Blick zu und verläÃt hüftschwenkend das Wohnzimmer, daà der Boden zittert und die Sektgläser in der Kommode nervös miteinander anstoÃen.
Ich weiÃ, was sie erbittert. Sie hat Angst, mein Vater könnte gelogen haben. Wenn das Konstrukt mit dem selbstgewählten Erzeuger in sich zusammenfiele, gäbe es keine Verwendung mehr für ihre postume Solidarität.
Mit ihrer Hilfe kann ich nicht rechnen, abgesehen davon, daà ihren Kopf die Version meines Vaters besetzt, wonach jener »Professor« niemals sein Vater war.
Ihr Sohn, mein Halbbruder Andreas, entzieht sich dem
Gespräch, will sich auf das Thema gar nicht erst einlassen â vielleicht aus Solidarität mit seiner Mutter? Oder weil er, in der DDR aufgewachsen, die unter dem Deckmantel des Antizionismus den Antisemitismus am Leben erhielt, es lieber nicht genau wissen will?
Eine geballte Ladung an Vorbehalten ist auf mich herabgeprasselt.
Es scheint, als sei der imaginäre GroÃvater nicht zu fassen.
Ein GroÃteil der Vorwürfe Renates lieÃe sich auch anders formulieren: Hätte die Witwe ihres Vaters den GroÃvater gekannt, sie hätte ihn nicht gemocht, weil er Jude war.
Renate Bronnen hat sie sogar aus dieser seltsamen Patchworkfamilie verbannt, weil sie über den GroÃvater schreiben will! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben, hatte sie gesagt.
Dann hat Renate jemand gesteckt, diese Haltung sei unmodern, und modern wollte sie immer sein. So hat sie ein paar Wochen später angerufen und ihr gesagt, daà sie das nichts angehe und sie auch nichts mehr davon hören wolle.
Warum verschweigt sie das? Hat sie Angst, den Zugang zu ihrem Vater und GroÃvater zu verlieren, wenn Renate sie verdammt?
Nun, so versichert sie, soll alles anders werden. Deswegen fahre sie ja nach Auschwitz.
Ich war schon mal in Auschwitz, habe aber nichts herausbekommen. Ich blättere in meinem Adressbuch und suche die Nummer des Professors in Warschau.
Ich muà es wissen, antworte ich auf seine Fragen. Bitte helfen Sie mir.
Kurz darauf ruft er zurück und gibt mir zwei Adressen.
Und was tut sie, setzt sich noch im Abteil hin und fängt
tatsächlich mit einem Buch an, das sie »Meine Väter« nennt.
Wie faÃt sie die Vergangenheit? Womit fängt sie an?
Erst einmal Sicheres, Verbrieftes, immer wieder schleicht sie um alles herum.
Wenn ich zurückdenke, sieht es so aus: In meiner Kindheit habe ich immer nur einen GroÃvater gehabt, den Mann, den meine GroÃmutter mütterlicherseits geheiratet hatte. Von diesem Mann ist alles erhalten, jede Notiz, jedes Gedicht, die Aufzeichnungen und Briefe aus dem Krieg. Meine GroÃmutter hat alles, was Opas Karriere als Ulanenoberst betrifft, einem Militärarchiv vermacht und die privaten Dinge uns »mit noch warmen Händen« weitergereicht.
Es gab noch seine Trinkbecher aus Silber, das ledergebundene, handgeschriebene Verzeichnis »all der Pferde, die ich geritten«, den Schreibtisch des UrgroÃvaters, die Fotos und die Bilder seiner Familie, das Gemälde seiner Mutter, der »Generalin«, die unablässig Zigarren rauchte und starb, »schwarzgeräuchert wie ein Ofenloch und voller Brandlöcher«, so meine GroÃmutter. Der Familienbesitz der Horns, der Familie meiner GroÃmutter aus Bamberg, war erhalten, die Wäschelisten ihrer Aussteuer, die Sterbebildchen und Rosenkränze, Babylocken und Kinderzähnchen, Opas Reitgerte, die hinter der Wohnungstür meiner GroÃmutter hing, um Einbrechern eins überzuziehen, Vasen, Gläser, Silberbesteck, Damastbettwäsche, das schöne Service mit den Rosentassen, die »Bier- und Sektzipfel« aus Opas schlagender Verbindung, echt Silber und graviert, alles da. Dazu ein brokatüberzogener, mit einer siebenzackigen Krone und dem Wappenluchs geschmückter Ordner mit Ahnentafeln und Herkunftsbeweisen. Else von Lossow, die GroÃmutter mütterlicherseits, blätterte oft darin.
Sie wuÃte noch genau, wie es an jenem 9. November 1923 an der Feldherrnhalle zugegangen war oder wer beim Trauerzug für Kardinal Faulhaber mitmarschierte, und erzählte ergreifend vom schönen, jungen Mann, der in ihren Armen starb, als sie Krankenschwester im Ersten Weltkrieg war.
Sie steckte voller Familienanekdoten, die bis zu ihrer UrgroÃmutter zurückreichten. Geschichten um die »Generalin« bildeten unsere
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