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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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an ihr strömte eine liebenswürdige Zurückhaltung aus. Nein, die Beziehung zu ihrem Vater sei keineswegs einfach gewesen. Er habe immer eine tiefe Angst vor Gefühlen gehabt, niemals Gefühle gezeigt und wenig von sich erzählt, kein Wort über sein Judentum. Er wollte in der Nazi- und Nachkriegszeit seine Kinder nicht gefährden, sagte sie und zuckte dabei die Achseln. Eine ungewöhnliche Reaktion dieser sonst so offenherzigen Frau. Das rief Zweifel bei mir hervor, ob sie mir sagte, was sie wußte. Aber ich fühlte auch, daß sie mit ihrer Vergangenheit längst abgeschlossen hatte.
    In der letzten Viertelstunde im Café übergab sie mir mit rotlackierten, langen Fingernägeln Fotos, Bilder meines
Großvaters. Eine unerwartete Entdeckung, die ich erst jetzt zu schätzen weiß.
    Ein frühes Bild, er ist vielleicht fünfundzwanzig. Die gleiche Art, zur Seite zu blicken, wie mein Vater, mit einer gewissen Entschiedenheit, von feinen Lippen noch unterstrichen, die das Lächeln nicht lernten. Eine ausgeprägte, doch nicht zu große Nase, gewölbte Brauen. Ein durchaus hübsches, gefälliges Jungmanngesicht. Der Blick verliert sich in der Ferne.
    Das Bild enthüllt nicht, was er sein könnte.
    Auf dem späteren Bild, er ist vielleicht fünfzig, erkenne ich noch Züge des früheren Gesichts, aber ich sehe auch, was es geprägt hat, ahne versteckte Krisen und eine ziemliche Beharrlichkeit.
    Er trägt einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd mit hohem Kragen und Krawatte, eine Weste mit Uhrenkette, die Hand in einer energischen Geste erhoben. Er hält sich aufrecht. Groß war er nicht, um die einszweiundsiebzig, im Unterschied zu seinem hochgewachsenen Sohn Arnolt.
    Seine Miene hat etwas Melancholisch-Humorvolles, keineswegs Trauriges. Er hat die Augen meines Vaters. Hinter seinem wachen Blick vermute ich einen scharfen Verstand. Kein Märtyrer jedenfalls, sondern einer, der tüftelt, wie man davonkommt. Der Blick, die feinen Brauen, der sensible Mund, die gelichtete Stirn – ja, es könnte ein Bild meines Vaters sein.
    Immerhin weiß sie jetzt, was eines der Geheimnisse um Vaters Herkunft war. Fremde jüdische Clans halten in ihrem Kopf Einzug, tanzen um eine gespenstische Geschichte, beugen sich über einen Abgrund.
    In letzter Minute, kurz bevor Ellida den Fuß aufs Trittbrett ihres Zuges setzte, gab sie mir noch ein dickes Ma
nuskript, das sie in einer pinkfarbenen Plastiktasche mitgeschleppt hatte. Das hätte ich beinahe vergessen, sagte sie, aber ich fühlte, daß das nicht die Wahrheit war. Sie wollte mit mir darüber nicht sprechen.
    Die Lebenserinnerungen meines Vaters, sagte sie, eine Kopie. Das Problem ist nur, er ist es nicht. Nur zum Teil.
    Sie lachte heftig. Ihr Gesichtsausdruck war listig.
    Was heißt das, fragte ich, warum ist er es nicht?
    Du wirst schon sehen, sagte sie belustigt.
    Die Tür schloß sich seufzend hinter ihr.
    Ich schleppte den Wälzer heim. Doch nun, da ich ihn besaß, war er mir seltsamerweise nicht mehr wichtig. Ich las nur an, übersah, was dahinterstand, fühlte mich betrogen, legte ihn beiseite. Später einmal.
    Der Vater war mir wichtiger.
    Der Vater, immer wieder der Vater, ihr Wunschbild von einem Vater, der ohne Fehl und Tadel sein Leben gemeistert hätte.
    Wird sie auf der Suche nach ihrem Großvater erfahren, wie aus ihren Vätern das wurde, was ihnen die einen als schändliches Vergehen, die anderen als schmähliches Anpassungsverhalten vorwarfen?
    Schon früher bin ich auf Wiener und Linzer Verwandte gestoßen, doch bislang gab es zwischen diesen beiden Familienzweigen keinerlei Kontakte. Außerdem hörte ich nichts Freundliches. Man habe nicht vor, mit einer Tochter Arnolt Bronnens in Verbindung zu treten.
    Ich stelle fest, daß das nur Gerüchte sind, die ich nie überprüfte. Wage einen Vorstoß und nehme Kontakt zu meinem Neffen Günter Bronner auf, Urenkel von Großvaters Bruder gleichen Vornamens, der in gewisser Weise in die Fußstapfen seines Ururgroßvaters, des Waldhegers, getreten ist: Er ist Forstwirt, eingebunden in österreichi
sche Waldschutzpolitik, in Natur- und Umweltschutz engagiert und berät und leitet die Waldbewirtschaftung der Forstbetriebe der Esterhazy und anderer Abkömmlinge austriakischen Hochadels.
    Ich bin überrascht. Günther, ein liebenswürdiger Mann, ehemaliger Jungpfadfinder, nimmt

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