Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Vorplatz ins Haus. Er war schön anzusehen, in der schlanken Kraft seiner sechzehn Jahre, und den Kopf hatte er mit stillen Augen gesenkt, noch von den Schick salen des nordischen Helden erfüllt und zum Nachdenken genötigt.
    Die Sommerstube, wo man die Mahlzeiten hielt, lag zu hinterst im Hause. Sie war eigentlich eine Halle, vom Garten nur durch eine Glaswand getrennt, und sprang geräumig als ein kleiner Flügel aus dem Hause vor. Hier war nun der ei gentliche Garten, der von alters her ›am See‹ genannt wurde, wenngleich statt eines Sees nur ein kleiner, länglicher Teich zwischen den Beeten, Spa-lierwänden, Wegen und Obstpfl an zungen lag. Die aus der Halle ins Freie führende Treppe war von Oleandern und Palmen eingefaßt, im übrigen sah es ›am See‹ nicht herrschaftlich, sondern behaglich ländlich aus.
    »Also morgen kommen die Leutchen«, sagte der Vater. »Du freust dich hoff entlich, Paul?«
    »Ja, schon.«
    »Aber nicht von Herzen? Ja, mein Junge, da ist nichts zu machen. Für uns paar Leute ist ja Haus und Garten viel zu groß, und für niemand soll doch die ganze Herrlichkeit nicht da sein! Ein Landhaus und ein Park sind dazu da, daß fröhli che Menschen drin herumlaufen, und je mehr, desto besser. Übrigens kommst du mit so-lenner Verspätung. Suppe ist nimmer da.«
    Dann wandte er sich an den Hauslehrer.

44
    »Verehrtester, man sieht Sie ja gar nie im Garten. Ich hatte immer gedacht, Sie schwärmen fürs Landleben.«
    Herr Homburger runzelte die Stirn.
    »Sie haben vielleicht recht. Aber ich möchte die Fe-rienzeit doch möglichst zu meinen Privatstudien verwenden.«
    »Alle Hochachtung, Herr Homburger! Wenn einmal
    Ihr Ruhm die Welt erfüllt, lasse ich eine Tafel unter Ihrem Fenster anbringen. Ich hoff e bestimmt, es noch zu erleben.«
    Der Hauslehrer verzog das Gesicht. Er war sehr nervös.
    »Sie überschätzen meinen Ehrgeiz«, sagte er frostig.
    »Es ist mir durchaus einerlei, ob mein Name einmal bekannt wird oder nicht. Was die Tafel betriff t –«
    »Oh, seien Sie unbesorgt, lieber Herr! Aber Sie sind ent schieden zu bescheiden. Paul, nimm dir ein Muster!«
    Der Tante schien es nun an der Zeit, den Kandidaten zu erretten. Sie kannte diese Art von höfl ichen Dialo-gen, die dem Hausherrn so viel Vergnügen machten, und sie fürchtete sie. Indem sie Wein anbot, lenkte sie das Gespräch in andere Gleise und hielt es darin fest. Es war hauptsächlich von den erwarteten Gästen die Rede.
    Paul hörte kaum dar auf. Er aß nach Kräften und besann sich nebenher wieder einmal darüber, wie es käme, daß der junge Hauslehrer ne ben dem fast grauhaarigen Vater immer aussah, als sei er der Ältere.

45
    Vor den Fenstern und Glastüren begannen Garten, Baum land, Teich und Himmel sich zu verwandeln, vom ersten Schauer der heraufkommenden Nacht berührt. Die Gebü sche wurden schwarz und rannen in dunkle Wogen zusam men, und die Bäume, deren Wipfel die ferne Hü-
    gellinie über schnitten, reckten sich mit ungeahnten, bei Tage nie gesehe nen Formen dunkel und mit einer stummen Leidenschaft in den lichteren Himmel. Die vielfältige, fruchtbare Landschaft verlor ihr friedlich buntes zerstreutes Wesen mehr und mehr und rückte in großen, fest geschlossenen Massen zusammen. Die entfernten Berge sprangen kühner und entschlossener empor, die Ebene lag schwärzlich hingebreitet und ließ nur noch die stärke-ren Schwellungen des Bodens durchfühlen. Vor den Fenstern kämpfte das noch vorhandene Tageslicht müde mit dem herabfallenden Lampenschimmer.
    Paul stand in dem off enen Türfl ügel und schaute zu, ohne viel Aufmerksamkeit und ohne viel dabei zu denken. Er dachte wohl, aber nicht an das, was er sah. Er sah es Nacht werden. Aber er konnte nicht fühlen, wie schön es war. Er war zu jung und lebendig, um so etwas hinzunehmen und zu betrachten und sein Genüge daran zu fi nden. Woran er dachte, das war eine Nacht am nordischen Meer. Am Strande zwischen schwarzen Bäumen wälzt der düster lodernde Tempelbrand Glut und Rauch gen Himmel, an den Felsen bricht sich die See und spiegelt wilde rote Lichter, im Dunkel enteilt mit vollen Segeln ein Wikingerschiff .

46
    »Nun, Junge«, rief der Vater, »was hast du denn heut wie der für einen Schmöker draußen gehabt?«
    »Oh, den Frithjof!«
    »So, so, lesen das die jungen Leute noch immer? Herr Homburger, wie denken Sie darüber? Was hält man heutzu tage von diesem alten Schweden? Gilt er noch?«
    »Sie meinen Esajas Tegner?«
    »Ja, richtig,

Weitere Kostenlose Bücher