Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
plötzlich gleichsam erloschen, und es schien an 40
    seinem Orte eine Stunde früher Nacht zu werden als sonst überall. Das ei gentümlichste und düsterste Aussehen hatte er jedoch an Re gentagen. Während die anderen Bäume atmeten und sich reckten und freudig mit hellerem Grün erprangten, stand er wie tot in seiner Einsamkeit, vom Wipfel bis zum Boden schwarz anzusehen. Ohne daß er zitterte, konnte man doch sehen, daß er fror und daß er mit Unbehagen und Scham so allein und preisgegeben stand.
    Früher war der regelmäßig angelegte Lustpark
    ein stren ges Kunstwerk gewesen. Als dann aber Zeiten kamen, in wel chen den Menschen ihr mühseliges Warten und Pfl egen und Beschneiden verleidet war und niemand mehr nach den mit Mühe hergepfl anzten Anlagen fragte, waren die Bäume auf sich selber angewiesen. Sie hatten Freundschaft untereinan
    der
    geschlossen, sie hatten ihre kunstmäßige, isolierte Rolle vergessen, sie hatten sich in der Not ihrer alten Waldheimat erinnert, sich aneinandergelehnt, mit den Armen umschlun gen und gestützt. Sie hatten die schnurgeraden Wege mit dickem Laub verborgen und mit ausgreifenden Wurzeln an sich gezogen und in nährenden Waldboden verwandelt, ihre Wipfel ineinander verschränkt und festgewachsen, und sie sahen in ihrem Schutze ein eifrig aufstrebendes Baumvolk aufwachsen, das mit glatteren Stämmen und lichteren Laub farben die Leere füllte, den brachen Boden eroberte und durch Schatten und Blätterfall die Erde 41
    schwarz, weich und fett machte, so daß nun auch die Moose und Gräser und klei nen Gesträuche ein leichtes Fortkommen hatten.
    Als nun später von neuem Menschen herkamen und
    den einstigen Garten zu Rast und Lustbarkeit gebrau-chen woll ten, war er ein kleiner Wald geworden. Man mußte sich be scheiden. Zwar wurde der alte Weg zwischen den zwei Pla tanenreihen wiederhergestellt, sonst aber begnügte man sich damit, schmale und gewunde-ne Fußwege durch das Dickicht zu ziehen, die heidigen Lichtungen mit Rasen zu besäen und an guten Plätzen grüne Sitzbänke aufzustellen. Und die Leute, deren Großväter die Platanen nach der Schnur ge pfl anzt und beschnitten und nach Gutdünken gestellt und geformt hatten, kamen nun mit ihren Kindern zu ihnen zu Gast und waren froh, daß in der langen Verwahrlosung aus den Alleen ein Wald geworden war, in welchem Sonne und Winde ruhen und Vögel singen und Menschen ihren Gedan ken, Träumen und Gelüsten nachhängen konnten.
    Paul Abderegg lag im Halbschatten zwischen Gehölz und Wiese und hatte ein weiß und rot gebundenes Buch in der Hand. Bald las er darin, bald sah er übers Gras hinweg den fl atternden Bläulingen nach. Er stand eben da, wo Frithjof über Meer fährt, Frithjof der Liebende, der Tempelräuber, der von der Heimat Verbannte. Groll und Reue in der Brust, segelt er über die ungastliche See, am Steuer stehend; Sturm und Gewoge bedrängen 42
    das schnelle Drachenschiff , und bit teres Heimweh be-zwingt den starken Steuermann.
    Über der Wiese brütete die Wärme, hoch und gellend san gen die Grillen, und im Innern des Wäldchens sangen tiefer und süßer die Vögel. Es war herrlich, in dieser einsamen Wirrnis von Düften und Tönen und Sonnen-lichtern hinge streckt in den heißen Himmel zu blinzeln, oder rückwärts in die dunklen Bäume hineinzulauschen, oder mit geschlosse nen Augen sich auszurecken und das tiefe, warme Wohlsein durch alle Glieder zu spüren.
    Aber Frithjof fuhr über Meer, und morgen kam Besuch, und wenn er nicht heute noch das Buch zu Ende las, war es vielleicht wieder nichts damit, wie im vorigen Herbst.
    Da war er auch hier gelegen und hatte die Frithjofsage angefangen, und es war auch Besuch gekom men, und mit dem Lesen hatte es ein Ende gehabt. Das Buch war dageblieben, er aber ging in der Stadt in seine Schule und dachte zwischen Homer und Tacitus beständig an das ange fangene Buch und was im Tempel geschehen würde, mit dem Ring und der Bildsäule.
    Er las mit neuem Eifer, halblaut, und über ihm lief ein schwacher Wind durch die Ulmenkronen, sang das Ge-vögel und fl ogen die gleißenden Falter, Mücken und Bienen. Und als er zuklappte und in die Höhe sprang, hatte er das Buch zu Ende gelesen, und die Wiese war voll Schatten, und am hell roten Himmel erlosch der Abend.
    Eine müde Biene setzte sich auf seinen Ärmel und ließ sich tragen. Die Grillen san gen noch immer. Paul ging 43
    schnell davon, durchs Gebüsch und den Platanenweg und dann über die Straße und den stillen

Weitere Kostenlose Bücher