Meistererzählungen
Esajas. Nun?«
»Ist tot, Herr Abderegg, vollkommen tot.«
»Das glaube ich gerne! Gelebt hat der Mann schon zu mei nen Zeiten nicht mehr, ich meine damals, als ich ihn las. Ich wollte fragen, ob er noch Mode ist.«
»Ich bedaure, über Mode und Moden bin ich nicht unter
richtet. Was die wissenschaftlich-ästhetische
Wertung be triff t –«
»Nun ja, das meinte ich. Also die Wissenschaft – –?«
»Die Literaturgeschichte verzeichnet jenen Tegner ledig lich noch als Namen. Er war, wie Sie sehr richtig sagten, eine Mode. Damit ist ja alles gesagt. Das Echte, Gute ist nie Mode gewesen, aber es lebt. Und Tegner ist, wie ich sagte, tot. Er existiert für uns nicht mehr. Er scheint uns unecht, ge schraubt, süßlich …«
Paul wandte sich heftig um.
»Das kann doch nicht sein, Herr Homburger!«
»Darf ich fragen, warum nicht?«
»Weil es schön ist! Ja, es ist einfach schön.«
»So? Das ist aber doch kein Grund, sich so aufzure-gen.«
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»Aber Sie sagten, es sei süßlich und habe keinen Wert.
Und es ist doch wirklich schön.«
»Meinen Sie? Ja, wenn Sie so felsenfest wissen, was schön ist, sollte man Ihnen einen Lehrstuhl einräumen.
Aber wie Sie sehen, Paul – diesmal stimmt Ihr Urteil nicht mit der Ästhe tik. Sehen Sie, es ist gerade umgekehrt wie mit Th
ucydides. Den fi ndet die Wissenschaft schön, und Sie fi nden ihn schrecklich. Und den Frithjof –«
»Ach, das hat doch mit der Wissenschaft nichts zu tun.«
»Es gibt nichts, schlechterdings nichts in der Welt, womit die Wissenschaft nicht zu tun hätte. – Aber, Herr Abderegg, Sie erlauben wohl, daß ich mich empfehle.«
»Schon?«
»Ich sollte noch etwas schreiben.«
»Schade, wir wären gerade so nett ins Plaudern gekommen. Aber über alles die Freiheit! Also gute Nacht!«
Herr Homburger verließ das Zimmer höfl ich und steif und verlor sich geräuschlos im Korridor.
»Also die alten Abenteuer haben dir gefallen, Paul?«
lachte der Hausherr. »Dann laß sie dir von keiner Wissenschaft ver hunzen, sonst geschieht’s dir recht. Du wirst doch nicht ver stimmt sein?«
»Ach, es ist nichts. Aber weißt du, ich hatte doch ge-hoff t, der Herr Homburger würde nicht mit aufs Land kommen. Du hast ja gesagt, ich brauche in diesen Ferien nicht zu büff eln.«
»Ja, wenn ich das gesagt habe, ist’s auch so, und du 48
kannst froh sein. Und der Herr Lehrer beißt dich ja nicht.«
»Warum mußte er denn mitkommen?«
»Ja, siehst du, Junge, wo hätte er denn sonst bleiben sollen? Da, wo er daheim ist, hat er’s leider nicht son-derlich schön. Und ich will doch auch mein Vergnügen haben! Mit unter richteten und gelehrten Männern ver-kehren ist Gewinn, das merke dir. Ich möchte unsern Herrn Homburger nicht gern entbehren.«
»Ach, Papa, bei dir weiß man nie, was Spaß und was Ernst ist.«
»So lerne es unterscheiden, mein Sohn. Es wird dir nütz lich sein. Aber jetzt wollen wir noch ein bißchen Musik ma chen, nicht?«
Paul zog den Vater sogleich freudig ins nächste Zimmer. Es geschah nicht häufi g, daß Papa unaufgefordert mit ihm spielte. Und das war kein Wunder, denn er war ein Meister auf dem Klavier, und der Junge konnte, mit ihm verglichen, nur eben so ein wenig klimpern.
Tante Grete blieb allein zurück, Vater und Sohn ge-hörten zu den Musikanten, die nicht gerne einen Zu-hörer vor der Nase haben, aber gerne einen unsichtbaren, von dem sie wis sen, daß er nebenan sitzt und lauscht. Das wußte die Tante wohl. Wie sollte sie es auch nicht wissen? Was sollte ihr ir
gendein kleiner,
zarter Zug an den beiden fremd sein, die sie seit Jahren mit Liebe umgab und behütete und die sie beide wie Kinder ansah.
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Sie saß ruhend in einem der biegsamen Rohrsessel und horchte. Was sie hörte, war eine vierhändig ge-spielte Ouver türe, die sie gewiß nicht zum erstenmal vernahm, deren Na men sie aber nicht hätte sagen können; denn so gern sie Mu sik hörte, verstand sie doch wenig davon. Sie wußte, nachher würde der Alte oder der Bube beim Herauskommen fragen: ›Tante, was war das für ein Stück?‹ Dann würde sie sagen ›von Mozart‹
oder ›aus Carmen‹ und dafür ausgelacht wer den, denn es war immer etwas anderes gewesen.
Sie horchte, lehnte sich zurück und lächelte. Es war schade, daß niemand es sehen konnte, denn ihr Lächeln war von der echten Art. Es geschah weniger mit den Lippen als mit den Augen; das ganze Gesicht, Stirn und Wangen glänz ten innig mit, und es sah aus wie ein tiefes Verstehen und
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