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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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er vergessen. Er dachte überhaupt an nichts Bestimmtes, er genoß nur die späte Stunde, deren reges Glücksgefühl ihn noch nicht schlafen ließ. Wie schön die Sterne in der Schwärze standen!
    Und wie der Vater heute wieder gespielt hatte! Und wie still und märchenhaft der Garten da im Dunkeln lag!
    Die Juninacht umschloß den Knaben zart und dicht, sie kam ihm still entgegen, sie kühlte, was noch in ihm heiß und fl ammend war. Sie nahm ihm leise den 53
    Überfl uß seiner Ju gend ab, bis seine Augen ruhig und seine Schläfen kühl wur den, und dann blickte sie ihm lächelnd als eine gute Mutter in die Augen. Er wußte nicht mehr, wer ihn anschaute und wo er sei, er lag schlummernd auf dem Lager, atmete tief und schaute gedankenlos hingegeben in große, stille Augen, in deren Spiegel Gestern und Heute zu wunderlich ver-schlungenen Bildern und schwer zu entwirrenden Sagen wurden.
    Auch des Kandidaten Fenster war nun dunkel. Wenn jetzt etwa ein Nachtwanderer auf der Landstraße vor-
    überkam und Haus und Vorplatz, Park und Garten lautlos im Schlum mer liegen sah, konnte er wohl mit einem Heimweh herüber blicken und sich des ruhevollen Anblicks mit halbem Neide freuen. Und wenn es ein armer, obdachloser Fechtbruder war, konnte er unbesorgt in den arglos off enstehenden Park eintreten und sich die längste Bank zum Nachtlager aussu chen.
    Am Morgen war diesmal gegen seine Gewohnheit der Hauslehrer vor allen andern wach. Munter war er darum nicht. Er hatte sich mit dem langen Lesen bei Lampenlicht Kopfweh geholt; als er dann endlich die Lampe gelöscht hatte, war das Bett schon zu warmgelegen und zerwühlt zum Schlafen, und nun stand er nüchtern und fröstelnd mit mat ten Augen auf. Er fühlte deutlicher als je die Notwendigkeit einer neuen Renaissance, hatte aber für den Augenblick zur Fortsetzung seiner Studien keine Lust, sondern spürte ein heftiges Bedürfnis nach 54
    frischer Luft. So verließ er leise das Haus und wandelte langsam feldeinwärts.
    Überall waren schon die Bauern an der Arbeit und blickten dem ernst Dahinschreitenden fl üchtig und, wie es ihm zuwei len scheinen wollte, spöttisch nach. Dies tat ihm weh, und er beeilte sich, den nahen Wald zu erreichen, wo ihn Kühle und mildes Halblicht umfl ossen.
    Eine halbe Stunde trieb er sich verdrossen dort umher.
    Dann fühlte er eine innere Öde und begann zu erwä-
    gen, ob es nun wohl bald einen Kaff ee geben werde. Er kehrte um und lief an den schon warm besonnten Feldern und unermüdlichen Bauersleuten vorüber wieder heimwärts.
    Unter der Haustür kam es ihm plötzlich unfein vor, so hef tig und happig zum Frühstück zu eilen. Er wandte um, tat sich Gewalt an und beschloß, vorher noch gemäßigten Schrittes einen Gang durch die Parkwege zu tun, um nicht atemlos am Tisch zu erscheinen. Mit künstlich bequemem Schlenderschritt ging er durch die Platanenallee und wollte soeben gegen den Ulmen-winkel umwenden, als ein unvermu teter Anblick ihn erschreckte.
    Auf der letzten, durch Holundergebüsche etwas
    versteck
    ten Bank lag ausgestreckt ein Mensch. Er
    lag bäuchlings und hatte das Gesicht auf die Ellbo-gen und Hände gelegt. Herr Homburger war im er-
    sten Schrecken geneigt, an eine Greueltat zu denken, doch belehrte ihn bald das feste tiefe Atmen des Da-55
    liegenden, daß er vor einem Schlafenden stehe. Dieser sah abgerissen aus, und je mehr der Lehrersmann erkannte, daß er es mit einem vermutlich ganz jungen und unkräftigen Bürschlein zu tun habe, desto höher stiegen der Mut und die Entrüstung in seiner Seele.
    Überlegenheit und Mannesstolz erfüllten ihn, als er nach kurzem Zögern ent schlossen nähertrat und den Schläfer wachrüttelte.
    »Stehen Sie auf, Kerl! Was machen Sie denn hier?«
    Das Handwerksbürschlein taumelte erschrocken
    empor und starrte verständnislos und ängstlich in die Welt. Es sah einen Herrn im Gehrock befehlend vor sich stehen und be sann sich eine Weile, was das bedeuten könne, bis ihm ein fi el, daß er zu Nacht in einen off enen Garten eingetreten sei und dort genächtigt habe. Er hatte mit Tagesanbruch weiter wollen, nun war er verschlafen und wurde zur Rechenschaft gezogen.
    »Können Sie nicht reden, was tun Sie hier?«
    »Nur geschlafen hab ich«, seufzte der Angedonnerte und erhob sich vollends. Als er auf den Beinen stand, bestätigte sein schmächtiges Gliedergerüst den unfertig jugendlichen Ausdruck seines fast noch kindlichen Gesichts. Er konnte höchstens achtzehn Jahr alt sein.
    »Kommen

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