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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sehen, mit dieser Besessenheit stürmte ich los … dieser Frau nach … Ich weiß nicht mehr, wie ich alles tat, in so rasendem Lauf, in so unsinniger Geschwindigkeit flog es vorbei … Zehn Minuten, nein, fünf, nein zwei … nachdem ich alles von dieser Frau wußte, ihren Namen, ihr Haus, ihr Schicksal, jagte ich schon auf einem rasch geborgten Rad in mein Haus zurück, warf einen Anzug in den Koffer, steckte Geld zu mir und fuhr zur Station der Eisenbahn mit meinem Wagen … fuhr, ohne mich abzumelden beim Distriktbeamten … ohne einen Vertreter zu ernennen, ließ das Haus offen stehen und liegen, wie es war … Um mich standen Diener, die Weiber staunten und fragten, ich antwortete nicht, wandte mich nicht um … fuhr zur Eisenbahn und mit dem nächsten Zug hinab in die Stadt … Eine Stunde im ganzen, nachdem diese Frau in mein Zimmer getreten, hatte ich meine Existenz hinter mich geworfen und rannte Amok ins Leere hinein …
    Geradeaus rannte ich, mit dem Kopf gegen die Wand … um sechs Uhr abends war ich angekommen … um sechs Uhr zehn war ich in ihrem Haus und ließ mich melden … Es war … Sie werden es verstehen … das Sinnloseste, das Stupideste, was ich tun konnte … aber der Amokläufer rennt ja mit leeren Augen, er sieht nicht, wohin er rennt … Nach einigen Minuten kam der Diener zurück … höflich und kühl … die gnädige Frau sei nicht wohl und könne nicht empfangen.
    Ich taumelte die Türe hinaus … Eine Stunde schlich ich noch um das Haus herum, besessen von der wahnwitzigen Hoffnung, sie würde vielleicht nach mir suchen … dann nahm ich mir erst ein Zimmer im Strandhotel und zwei Flaschen Whisky auf das Zimmer … die und eine doppelte Dosis Veronal halfen mir … ich schlief endlich ein … und dieser dumpfe, schlammige Schlaf war die einzige Pause in diesem Rennen zwischen Leben und Tod.«

    Die Schiffsglocke klang. Zwei harte, volle Schläge, die noch im weichen Teich der fast reglosen Luft zitternd weiterschwangen und dann verebbten in das leise, unaufhörliche Rauschen, das unter dem Kiele und zwischen der leidenschaftlichen Rede beharrlich mitlief. Der Mensch im Dunkeln mir gegenüber mußte erschreckt aufgefahren sein, seine Rede stockte. Wieder hörte ich die Hand hinab zur Flasche fingern, wieder das leise Glucksen. Dann begann er, gleichsam beruhigt, mit einer festeren Stimme.
    »Die Stunden von diesem Augenblick an kann ich Ihnen kaum erzählen. Ich glaube heute, daß ich damals Fieber hatte, jedenfalls war ich in einer Art Überreiztheit, die an Tollheit grenzte – ein Amokläufer, wie ich Ihnen sagte. Aber vergessen Sie nicht, es war Dienstag nachts, als ich ankam, Samstag aber sollte – dies hatte ich inzwischen erfahren – ihr Gatte mit dem P. & O.-Dampfer von Yokohama eintreffen, es blieben also nur drei Tage, drei knappe Tage für den Entschluß und für die Hilfe. Verstehen Sie das: ich wußte, daß ich ihr sofort helfen mußte, und konnte doch kein Wort zu ihr sprechen. Und gerade dieses Bedürfnis, mein lächerliches, mein tollwütiges Benehmen zu entschuldigen, das hetzte mich weiter. Ich wußte um die Kostbarkeit jedes Augenblickes, ich wußte, daß es für sie um Leben und Tod ginge, und hatte doch keine Möglichkeit, mich nur mit einem Flüstern, mit einem Zeichen ihr zu nähern, denn gerade das Stürmische, das Tölpische meines Nachrennens hatte sie erschreckt. Es war … ja, warten Sie … es war, wie wenn einer einem nachrennt, um ihn zu warnen vor einem Mörder, und der andere hält ihn selbst für den Mörder, und so rennt er weiter in sein Verderben … sie sah nur den Amokläufer in mir, der sie verfolgte, um sie zu demütigen, aber ich … das war ja der entsetzliche Widersinn … ich dachte gar nicht mehr an das … ich war ja schon ganz vernichtet, ich wollte ihr nur helfen, ihr nur dienen … einen Mord hätte ich getan, ein Verbrechen, um ihr zu helfen … Aber sie, sie verstand es nicht. Als ich morgens aufwachte und gleich wieder hinlief zu ihrem Haus, stand der Boy vor der Tür, derselbe Boy, den ich ins Gesicht geschlagen, und wie er mich von ferne sah – er mußte auf mich gewartet haben –, huschte er hinein in die Tür. Vielleicht tat er es nur, um mich im geheimen anzumelden … vielleicht … ah, diese Ungewißheit, wie peinigt sie mich jetzt … vielleicht war schon alles bereit, mich zu empfangen … aber da, wie ich ihn sah, mich erinnerte an meine Schmach, da war ich es wieder, der nicht wagte, noch einmal den Besuch zu

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