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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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auf der Stirn und dann nur mehr den Rücken, den weißen, kühlen, nackten Rücken. Eine Sekunde lang dauerte es, bevor ich begriff, daß sie fortging … daß ich sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen könnte diesen Abend, diesen letzten Abend der Rettung … einen Augenblick lang also stand ich noch starr, bis ichs begriff … dann … dann …
    Aber warten Sie … warten Sie … Sie werden sonst das Sinnlose, das Stupide meiner Tat nicht verstehen … ich muß Ihnen erst den ganzen Raum schildern … Es war der große Saal des Regierungsgebäudes, ganz von Lichtern erhellt und fast leer, der ungeheure Saal … die Paare waren zum Tanz gegangen, die Herren zum Spiel … nur an den Ecken plauderten einige Gruppen … der Saal war also leer, jede Bewegung auffällig und im grellen Licht sichtbar … und diesen großen weiten Saal schritt sie langsam und leicht mit ihren hohen Schultern durch, ab und zu einen Gruß mit ihrer unbeschreiblichen Haltung erwidernd … mit dieser herrlichen erfrorenen hoheitlichen Ruhe, die mich an ihr so entzückte … Ich … ich war zurückgeblieben, ich sagte es Ihnen ja, ich war gleichsam gelähmt, bevor ich es begriff, daß sie fortging … und da, als ich es begriff, war sie schon am anderen Ende des Saales knapp vor der Türe … Da … oh, ich schäme mich jetzt noch, es zu denken … da packte es mich plötzlich an und ich
lief
– hören Sie: ich lief … ich ging nicht, ich
lief
mit polternden Schuhen, die laut widerhallten, quer durch den Saal ihr nach … Ich hörte meine Schritte, ich sah alle Blicke erstaunt auf mich gerichtet … ich hätte vergehen können vor Scham … noch während ich lief, war mir schon der Wahnsinn bewußt … aber ich konnte … ich konnte nicht mehr zurück … Bei der Tür holte ich sie ein … Sie wandte sich um … ihre Augen stießen wie ein grauer Stahl in mich hinein, ihre Nasenflügel zitterten vor Zorn … ich wollte eben zu stammeln anfangen … da … da …
lachte
sie plötzlich hellauf … ein helles, unbesorgtes, herzliches Lachen, und sagte laut … so laut, daß es alle hören konnten … ›Ach, Doktor, jetzt fällt Ihnen erst das Rezept für meinen Buben ein … ja, die Herren der Wissenschaft …‹ Ein paar, die in der Nähe standen, lachten gutmütig mit … ich begriff, ich taumelte unter der Meisterschaft, mit der sie die Situation gerettet hatte … griff in die Brieftasche und riß ein leeres Blatt vom Block, das sie lässig nahm, ehe sie … noch einmal mit einem kalten, dankenden Lächeln … ging … Mir war leicht in der ersten Sekunde … ich sah, daß mein Irrsinn durch ihre Meisterschaft gutgemacht, die Situation gewonnen … aber ich wußte auch sofort, daß alles für mich verloren sei, daß diese Frau mich um meiner hitzigen Narrheit haßte … haßte mehr als den Tod … daß ich nun hundertmal und hundertmal vor ihre Türe kommen könnte und sie mich wegweisen würde wie einen Hund.
    Ich taumelte durch den Saal … ich merkte, daß die Leute auf mich blickten … ich muß irgendwie sonderbar ausgesehen haben … Ich ging zum Büfett, trank zwei, drei, vier Gläser Kognak hintereinander … das rettete mich vor dem Umsinken … meine Nerven konnten schon nicht mehr, sie waren wie durchgerissen … Dann schlich ich bei einer Nebentür hinaus, heimlich wie ein Verbrecher … Um kein Fürstentum der Welt hätte ich jenen Saal nochmals durchschreiten können, wo ihr Lachen noch gell an allen Wänden klebte … ich ging … genau weiß ichs nicht mehr zu sagen, wohin ich ging … in ein paar Kneipen und soff mich an … soff mich an wie einer, der sich alles Wache wegsaufen will … aber … es ward mir nicht dumpf in den Sinnen … das Lachen stak in mir, schrill und böse … das Lachen, dieses verfluchte Lachen konnte ich nicht betäuben … Ich irrte dann noch am Hafen herum … meinen Revolver hatte ich zu Hause gelassen, sonst hätte ich mich erschossen. Ich dachte an nichts anderes, und mit diesem Gedanken ging ich auch heim … nur mit diesem Gedanken an das Schubfach links im Kasten, wo mein Revolver lag … nur mit diesem einen Gedanken.
    Daß ich mich dann nicht erschoß … ich schwöre Ihnen, das war nicht Feigheit … es wäre für mich eine Erlösung gewesen, den schon gespannten kalten Hahn abzudrücken … aber wie soll ich es Ihnen erklären … ich fühlte noch eine Pflicht in mir … ja, jene Pflicht, zu helfen, jene verfluchte Pflicht … mich machte der Gedanke wahnsinnig, daß sie mich noch

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