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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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so richtig wohl fühlte, hat sich schon als rechter Liebesnarr erwiesen. So erzählt er nicht nur eine Geschichte, daß er dem Leben wiedergegeben worden ist, weil ihm seine Verlobte einen Kohlkopf auf den Magen gelegt hat, sondern nennt sie auch ›Daisy‹, obwohl sie doch Charlotte heißt, hat mehr Geld für das Streichen ihres Boudoirs ausgegeben als für die Erneuerung des Wildbestands in seinen Wäldern, hat gesagt, ihn könne niemand besser zum Lachen bringen als sie, und hat außerdem einmal um ihretwillen eine Gruppe diebischer Zigeuner zum Aufspielen bei seiner Abendgesellschaft bestellt. Eines Tages, denkt Hetherington, wird er wieder er selbst werden, doch im Augenblick ist er ganz schön verrückt.
    Selbst wenn George Middleton wüßte, wie sehr sich Colonel Hetherington über ihn lustig macht, würde es ihn nicht allzusehr kümmern. Er würde bereitwillig einräumen, daß Liebende Narren sind und die Welt, die so rücksichtslos nach ihrem Vergnügen lechzt, sie gern verspottet und zusieht, wenn sie wie Ikarus aus den Wolken stürzen und eine ungraziöse Bauchlandung auf der Erde machen.
    Wie alle, die sich verliebt wähnen, meint er, seine Liebe zu Charlotte würde ewig währen. Die Hochzeit, denkt er, ist nicht das Ende, sondern ein Beginn. Vor mir liegen noch einige tausend Nächte mit neckischen Spielereien mit Daisy, mehrere hundert Sommerpicknicks auf Cookham, wo man auf den grünen Wiesen erst ein paar elegante Kinderwagen herumfahren sehen und später dann Kinderstimmen durch die Luft von Norfolk rufen hören wird: Knaben, die hinter einem Ball oder Reifen herrennen, Mädchen, die ihre Unterröcke in Springseilen verheddern …
    George Middleton sieht all dies so klar vor sich, als wäre es bereits geschehen. Als die Kutsche vor der Kirche von St. Benedict anhält und er seinen vielen auf ihn wartenden Freunden die Hand schüttelt, hat er auf seinem runden Gesicht ein so dümmliches Lächeln, daß einer aus der Gruppe, Sir Lawrence de Vere (der selbst vor kurzem eine verwitwete italienische Gräfin geheiratet hat, die nun ihr fünftes Kind erwartet), in Lachen ausbricht und meint: »Freut mich zu sehen, daß Ihr es komisch findet, Middleton, denn das ist es natürlich auch!«
    Dann sieht er Charlotte in der dunklen Kirche, in deren Innern es kühl ist. Sie nimmt den Schleier vom Gesicht und wendet sich ihrem »lieben George« zu. Von ihrem Vater aufgefordert, die Hand seiner Braut zu ergreifen, packt George Middleton diese in dem Wunsch, sie an die Lippen zu pressen, auf fast grobe Weise. Dabei entschlüpft ihm ein Ton, wie ein Schrei, ein Ton, wie ihn noch niemand (nicht einmal er selbst) je von ihm gehört hat. Er sieht, wie sich Hetherington besorgt nach ihm umdreht und ihm selbst Charlotte, die nur selten über ein Wort oder einen Ausruf von ihm überrascht ist, einen entsetzten Blick zuwirft. Er denkt, nur Gott weiß genau, was das war, doch es fühlte sich an, als riefe mein Herz.

    Als George und Charlotte die Hochzeit ein paar Wochen später Charlottes Bruder Peter und dessen Frau Emilia beschreiben, sagen sie beide, daß sie von der Zeremonie selbst wenig in Erinnerung behalten haben – nur dieses merkwürdige Geräusch von George, das man seitdem nie wieder gehört habe.
    Sie erinnern sich aber noch daran, daß die Gäste, als sie in die Sonne dieses Maitags hinausliefen, Blütenblätter auf sie regnen ließen und in diesem Augenblick ein Wind aufkam, so daß auch haufenweise Blüten von den Kastanienbäumen auf sie geweht wurden, die sich mit den weichen Kaskaden der geworfenen vermischten.
    Einer ruft es dem anderen ins Gedächtnis zurück: »Weißt du noch, George … Erinnerst du dich, Daisy … War es nicht ein Gefühl, als liefen wir durch duftenden Schnee?«

    Ein Brief König Christians IV . von Dänemark an König Charles I . von England

    An meinen lieben Neffen!
Heute sind in einer spanischen Truhe die einhunderttausend Pfund in Gold eingetroffen, die mir Eure Majestät freundlicherweise im Gegenzug für meinen Lautenspieler geschickt hat. Seid der tiefen Dankbarkeit eines treuen Onkels versichert!
    Ich muß zwar einräumen, daß ich noch keinen zufriedenstellenden Ersatz für den Lautenspieler gefunden habe und mir daher die von meinem Orchester erzeugten Harmonien nicht mehr so süß wie früher erscheinen, wünsche Euch aber dennoch viel Freude an ihm und bete, daß sein Spiel, sollte Eure Majestät einmal in Schwierigkeiten geraten, Eure Angst beschwichtigen oder Eure

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