Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Sorgen vertreiben möge – wie es das manchmal bei mir getan hat.
Ich räume auch ein, daß ich Peter Claire sehr gern hatte, nicht nur wegen seines Spiels, sondern gleichfalls, weil er mich an meine Kindheit erinnerte, als ich noch daran glaubte, daß mir Engel meine Schuhe mit Gold füllen würden, und mein Freund Bror Brorson mit mir durch die Wälder von Frederiksborg ritt.
Laßt mich aber gleich sagen, daß mir diese sehr ordentliche Geldsumme mehr Trost bringt, als Ihr Euch vorstellen könnt, so daß mir gleich wieder viele neue Ideen und Pläne durch den Kopf gehen, um Dänemark in seinem alten Glanz oder noch schöner neu erstehen zu lassen.
Ich will Euch jetzt meine liebste Idee beschreiben. Es ist mein Plan, hier in Kopenhagen ein großes Observatorium zu bauen.
Der Vorschlag stammt von meiner Frau Vibeke. Sie meinte: »Oh, warum baust du nicht einen Turm, der höher ist als alle anderen hier, und stellst ganz oben ein großes Teleskop auf, so daß wir zusammen hingehen können, um die unveränderliche Ordnung des Himmels zu betrachten, der Musik der Sterne zu lauschen und selbst zu entdecken, woher das Leuchten des Mondes stammt?«
Ich antwortete: »Natürlich sehnen wir uns nach alldem, wollen wir begreifen, was der Mond ist, und den einen Klang hören, dem keine Unreinheit innewohnt, den Klang des Universums selbst. Doch, Vibeke, stell dir einmal die vielen Stufen vor, die wir emporsteigen müßten, um an einem solchen Ort ganz nach oben zu gelangen! Für so viele Stufen bin ich zu alt und dick!«
Doch Vibeke erklärte, auch ihr seien Stufen ein Greuel, und sie denke überhaupt nicht an eine Treppe, sondern träume von einer sich spiralig nach oben windenden Straße, die nur so allmählich ansteigt, daß sie von den Pferden und Wagen bewältigt werden kann. Auf der könnten wir dann bequem und ohne jede Anstrengung nach oben fahren.
Da fiel mir ein, mein lieber Charles, daß mich meine erste Frau Anna Katharina einstmals um genau das gleiche bat, um diesen inneren Weg zum Himmel, und ich seinerzeit mit aller Macht versuchte, diesen erbauen zu lassen. Meine Zeichner brachten aber keinen Plan zustande, wie dieser sicher und auf Dauer angelegt werden könnte.
Doch die Zeit ist weitergegangen und mit dieser die Findigkeit und Geschicklichkeit der Menschen.
Heute haben mir meine Architekten (sehr einfallsreiche Dänen) mitgeteilt, daß es, wenn der Mittelpfeiler nur kräftig genug ist, keinen Grund dafür gibt, warum ein solches Meisterstück nicht gebaut werden und halten könnte. Daher habe ich neue Entwürfe anfertigen und neue Berechnungen anstellen lassen.
Wenn dieser Turm eines Tages fertig ist, dann werden, denke ich, Leute aus der ganzen Welt herbeieilen, um ihn sich anzusehen. Sie werden feststellen, daß wir hier in Dänemark Bauwerke errichten, an denen es nichts Schludriges und keine Schwachstellen gibt.
Als ich noch ein Kind war, hat der Astronom Tycho Brahe prophezeit, daß dieses Jahr, das Jahr 1630, ein gefährliches für mich werden und ich es vielleicht nicht überleben würde. Ich gebe auch zu, daß ich in manchen dunklen Nächten, wenn mich mein Verdauungssystem mit seinen alten Schmerzen plagt, fast das Gefühl habe, der Tod könnte sich ungesehen in mein Zimmer schleichen.
Diese Augenblicke sind jedoch selten. Vielmehr nistet sich bei mir allmählich der Gedanke ein, daß all das, was ich in den letzten Jahren durchgemacht habe, sowohl in den Kriegen als auch in den Schlachten mit meiner früheren Frau Kirsten, eine echte Bewährungsprobe für meine Kraft und meinen Willen war und daß diese Zeit des Elends nun von einer der Freude abgelöst wird.
Die Geschichte lehrt uns, daß man derartigen Gefühlen eines guten Geschicks mit Argwohn begegnen sollte, weil sie bloße Zwischenspiele sind: kurze Augenblicke zwischen zwei Wintern, zwischen vergangenen und bevorstehenden Kriegen.
Doch Vibeke sagt mir, ich solle mich mit dieser Beobachtung nicht quälen, sondern lieber so handeln, als würde dieses Ende meiner Sorgen recht viele Jahreszeiten anhalten. Ich glaube, sie hat recht.
Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis mein Observatorium gebaut sein wird. Doch wenn es fertig ist, müßt Ihr uns hier besuchen, und dann fahren wir mit Vibeke und Eurer Königin zur Turmspitze hinauf und speisen dort unter freiem Himmel – wenn die Dämmerung die Farbe der Blaubeeren hat und der Vollmond wie ein hübscher, runder Sahnetopf aussieht.
Von Eurem Euch liebenden
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