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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Onkel
    Christian IV .
    Rosenborg, September 1630

KIRSTEN: AUS IHREN PRIVATEN PAPIEREN
    Letzte Nacht hatte ich einen Traum.
    Ich stand in einer Kirchenbank. Ein Chor sang, doch ich schenkte der Musik nur wenig Beachtung. Alles, was ich mit jeder Pore und jedem Haar meines Wesens spürte und wahrnahm, war der Blick meines Geliebten Otto, der von der gegenüberliegenden Kirchenbank auf die helle Haut meines Halses und meine milchig-weißen Brüste über der Spitze meines rostfarbenen Kleides fiel. Ich verspürte eine solche Verwunderung über meine Macht über diesen Mann, daß ich meinte, in Ohnmacht zu fallen.
    Erst dann kam mir in dem Traum der Gedanke, der Mann sei nicht Otto, es sei nicht sein Blick. Es war der König. So wachte ich voller Entsetzen auf. Denn ich sah, daß ich die eine Liebe mit der anderen vermischt hatte, so daß sie nicht mehr voneinander unterschieden werden konnten.
    Deshalb frage ich: Wo gibt es im ganzen Universum noch eine Wahrheit oder etwas absolut Sicheres, wenn zwei Gefühle, die in meinem Herzen in unerbittlichem Widerstreit liegen (das eine der Sehnsucht und das andere des Abscheus), miteinander verschmelzen und in meinem Traum ein und dasselbe werden können?
    Kann es sein, daß die Zeit über uns eine solche Staffel von Wundern ausbreitet, daß sie einander in der Erinnerung ständig überholen? Oder ist es vielmehr so, daß das, was wir als »wunderbar« bezeichnet haben, nie dergleichen war, weder das erste Wunder noch das zweite, noch irgend etwas, was danach kam, sondern daß wir in Wirklichkeit nur einen Abschnitt der Trostlosigkeit nach dem anderen durchlebten?
    Ich kenne die Antwort darauf nicht. Es heißt, Musik müsse, um die menschliche Seele zu erreichen, auf aus der Erinnerung geborener Erwartung beruhen, daß gewisse Noten gewissen anderen folgen werden. So hören wir, wie das, was wir Melodie nennen, durch die Zeit fließt. Ist die Erinnerung falsch – wie es meine, glaube ich, bestimmt ist –, bleiben wir unser Leben lang der Musik gegenüber gleichgültig.
    Ich bin der Musik gegenüber nicht nur gleichgültig, sondern ich verabscheue sie.
    Wenn auf Rosenborg das Orchester unter uns spielte und der König unsere Prunksäle in einer Amtsangelegenheit verlassen mußte, ging ich sofort zur Falltür, aus der die monotonen Klänge der Saiten- und Flöteninstrumente über Kanäle und Leitungen zu uns aufstiegen, und stieß sie mit einem rachevollen Fußtritt zu.
    Voller Genuß und Befriedigung stellte ich mir dann vor, wie durch den Luftzug, der durch das Zuschlagen der schweren Tür verursacht wurde, die Kerzen auf den Notenständern im Keller ausgingen, so daß die dummen Musiker schlagartig von Stille und Dunkelheit umgeben waren. Dann lächelte ich.
    Ich erkenne aber auch, daß dieser Fehler oder diese Schwäche in meinem Gedächtnis auch der Grund dafür sein kann, daß ich mich ständig in einer sehr bedauernswerten Verwirrung befinde. Ich spüre, daß diese Verwirrung alle Dinge dieser Welt erfaßt, so daß alles, was meiner Seele einstmals feindselig gegenüberstand, nun mit dem, was sie geblendet hat, durcheinandergerät, so daß ich nicht weiß, wohin ich gehen oder wonach ich suchen soll oder welche Richtung mein Leben einschlägt.

    Ich kann dann nichts anderes tun, als zu meinen Knaben Samuel und Emmanuel zu gehen. Sie sind Kinder der Geister und nicht durch irgendeine Erwartung an diese widerliche Welt gebunden.
    Ich nehme ihre Hände in meine, schwarz auf weiß und weiß auf schwarz, und sage zu ihnen: »Gebt mir die Flügel der Engel und die Flügel der Dämonen! Hebt mich empor, und laßt mich fliegen!«

Danksagung
    Mein herzlicher Dank gilt den folgenden Personen:

    Claus Egerod dafür, daß er mir vom Keller von Rosenborg erzählt hat; Else Sandvad McNaught für ihre sagenhafte Geduld bei meinen unaufhörlichen Fragen über das Leben König Christians IV .; Penelope Hoare dafür, daß sie mich nach Dänemark begleitet und dort Dinge entdeckt hat, die mir bestimmt entgangen wären; John Keegan dafür, daß er mir half, die Schlacht von Lutter zu verstehen; Vivien Green für ihren unerschütterlichen Glauben an das ganze wilde Unterfangen; schließlich Richard Holmes für seinen weisen Rat und seine nicht wankende, liebevolle Unterstützung und Eleanor Tremain für ihr schönes und mutiges Ich – als Tochter und Muse.

INHALT
    ERSTER TEIL
Kopenhagen, 1629

    ZWEITER TEIL
Frederiksborg und Jütland, 1629-1630

    DRITTER TEIL
Stiller Frühling, 1630

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