Memoiren 1945 - 1987
Urlaub genommen, sie betreute und versorgte mich wie eine Mutter. Im Schneideraum sortierte sie das Material, beschriftete die Büchsen, klebte die Kürzungen zusammen. Sie war das pflichtbewußteste und fleißigste Menschenkind, das mir in diesem Beruf begegnet ist. An diese Zeit, die wir beide damals im Schneideraum verbrachten, denkt sie noch heute mit Schrecken. Es war der verzweifelte Versuch, durch unzählige Schnittversuche aus dem verkorksten Material noch eine verwendbare Filmrolle herzustellen. Täglich arbeiteten wir bis zu achtzehn Stunden im Keller. Der Schneideraum hatte keine Fenster, so daß wir nicht bemerkten, ob es Tag oder Nacht war. Wir vergaßen Essen und Trinken, und aus meinem Kalender ersehe ich, daß es oft fünf Uhr früh war, bis wir aus dem Keller kamen. Ich wollte mir die einzigartige Chance des japanischen Angebots nicht entgehen lassen. In der Tat konnte ich noch rechtzeitig eine große Rolle von den Ringkampffesten und der Seribe zusammenstellen. Nun hing alles nur von Geyer ab, ob sie in der Lage waren, eine brauchbare Vorführkopie herzustellen.
Inzwischen rückte die «photokina» immer näher, aber trotz ständiger Anfragen und Bitten hatte ich von Geyer noch immer keine Kopie erhalten. Es war zum Wahnsinnigwerden. Verzweifelt mußte ich ohne die Kopie nach Köln fliegen. Die letzte Nachricht von Geyer besagte, daß sie es wegen technischer Schwierigkeiten noch nicht geschafft hatten, aber versuchen wollten, die Rolle direkt nach Köln an den Kodak-Stand zu schicken.
Täglich wartete ich in Köln am Messestand bei Kodak — die
Kopie kam nicht. Der Japaner konnte nicht bis zum Schluß der Ausstellung bleiben, schwer enttäuscht reiste er ab. Für mich waren diese Tage ein einziges Martyrium. Erst im allerletzten Augenblick, wenige Stunden vor Schluß der Ausstellung und viel zu spät, traf die Kopie ein. Was ich dann erlebte, war grausam. Der Vorführer von Kodak weigerte sich, die Rolle vorzuführen, sie würde, so sagte er, zerreißen. Der Grund: Geyer hatte in die neue Kopie verschiedene Teile meiner Arbeitskopie eingesetzt, deren Perforation teilweise zerstört war und die deshalb nicht durch den Projektor laufen konnte. Wahrscheinlich hatten sie die Originale nicht gefunden, ein unerträglicher Gedanke. Niemand konnte die Kopie sehen. Der Schaden war unermeßlich. Denn nicht nur die Japaner, auch BBC und das französische Fernsehen waren an dem Nuba-Material interessiert, im Anschlug an die «photokina» sollte ich die Musterrolle in London und Paris vorführen.
Damit war endgültig die Hoffnung, den Nuba-Film durch eine neue Expedition noch zu retten, begraben.
In London und Paris
T rotz des Mißgeschicks in Köln flog ich im Anschluß an die «photokina» nach London, ohne Filmrolle — nur mit den NubaFotos. Ich wollte versuchen, sie an eine Zeitschrift zu verkaufen, und meldete mich bei der Redaktion des «Sunday Times Magazine». Mit etwas bangem Gefühl betrat ich die Redaktionsräume. Ich kannte dort niemand und wußte nach allem, was ich mit der englischen Presse erlebt hatte, auch nicht, wie mein Besuch aufgenommen würde. Ich vertraute allein der Aussagekraft meiner Bilder. Und ich habe mich nicht geirrt. Godfrey Smith, damals der Chefredakteur, erwartete mich schon. Nach einer formlosen, aber herzlichen Begrüßung kamen mehrere seiner Mitarbeiter, unter ihnen auch Michael Rand, der spätere Art-Direktor, in das kleine Büro. Ein Projektor war aufgebaut, und ziemlich aufgeregt führte ich dem dichtgedrängten Kreis meine Dias vor. Schon nach wenigen Minuten spürte ich, daß sie gefielen. Als ich das «Thomson-House», in dem sich das «Sunday Times Magazine» befand, verließ, lief ich beglückt durch die Straßen Londons. Godfrey Smith hatte nicht nur eine Nuba-Serie für mehrere Farbseiten erworben, sondern, ohne daß ich ihn darum bat, mir auch einen Vorschuß gegeben.
Dieser Erfolg in London schien sich fortzusetzen. Am nächsten Tag wurde ich von Mr. Harris, dem Direktor der Hutchinson-Publishing-Group, zum Lunch eingeladen. Es ging wieder einmal um meine Memoiren. Noch immer konnte ich mich nicht zu einer Zusage, durchringen — meine Angst vor dieser Aufgabe war unüberwindlich —, ich konnte Mr. Harris nur vertrösten. Aber die Sympathie, die er mir entgegenbrachte, empfand ich wie ein Geschenk. Von den Nuba-Dias war er fasziniert, er war der erste, der vorschlug, einen Bildband zu machen. Er ermutigte mich, einen geeigneten
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