Menschen wie Götter
folglich keineswegs so, wie Ellon und Irma es sahen. Ich ging in den Kommandeursaal. Um Oshima nicht abzulenken, bat ich Oleg hinaus. Er führte mich in seine Wohnung. Sie besteht aus zwei kleinen Zimmern, die den Schiffskajüten von einst gleichen.
Ich war noch nie bei Oleg gewesen, wir waren uns immer nur in den Diensträumen begegnet. Um ein rundes Tischchen standen Sessel, an den Wänden hingen die Porträts berühmter Sternenfahrer, darunter auch meins. Ich betrachtete Andrés Bild. Es zeigte Olegs Vater mit himbeerfarbenem Haar. Der üppige, gleichsam lohende Schöpf umrahmte ein bleiches, feines Gesicht. Andrés Augen lachten. Trotz allem war er in seiner Jugend Oleg sehr ähnlich gewesen, nur die Lockenmode war vergangen.
„Ist es auf der Ora aufgenommen worden?“ fragte ich. „Vor der Gefangennahme, Eli. Am Tag der Landung auf der Sigma, wo Vater den Unsichtbaren in die Hände fiel. Wera schickte dieses Foto meiner Mutter, als Olga, Leonid und du die Fahrt zum Perseus fortsetzten. Was wolltest du mir sagen, Eli?“
Ich erzählte von Ellons Forderungen, von Irinas Bitten. Oleg hörte gleichmütig zu und lächelte nur einmal, als ich erwähnte, daß ich Irinas Meinung nach alle unterdrückte. „Das scheint dich getroffen zu haben, Eli?“
„Es ist nicht gerade angenehm, wenn einem solche Beschuldigungen ins Gesicht geschleudert werden.“
„Mach dir nichts draus. Ich bin keiner von denen, die man zwingen kann, etwas gegen ihren Willen zu tun. Wenn ich mit dir einverstanden bin, dann nur deshalb, weil du recht hast. Das ist ja der Grund, weshalb ich darauf bestand, daß du an der Fahrt teilnimmst : um auf deine Ratschläge zu hören. Hier handelt es sich um Zusammenarbeit, nicht um Verlust der Selbständigkeit. Schade, daß Irina das nicht begreift.“
„Auch manches andere begreift sie nicht“, fügte ich hinzu. Oleg nickte. Ich sagte, daß es unvernünftig wäre, den Rückzug anzutreten. Die Stimme schaffe ein neues Schiffslenkungssystem, das effektiver als das in der Schiffsmaschine realisiert sei.
„Die Sache ist die, Oleg“, sagte ich, „daß die Konstrukteure nur eine Besonderheit des menschlichen Denkens für die denkenden Maschinen benutzen: die Fähigkeit, zu erwägen, die Fähigkeit, Schlußfolgerungen aus Ursachen zu ziehen, das heißt, eine logische Kette zu bauen. Jede Abzweigung der logischen Kette bietet eine Variante der Situationsbewertung. Die Schiffsmaschine vermehrt und vergleicht die Varianten, das ist ihre Aufgabe. Aber das Denken des Menschen erschöpft sich nicht darin. Und in schwierigen Situationen drohen große Unannehmlichkeiten, wenn maschinelles und menschliches Denken nicht übereinstimmen.“
Ich führte ein Beispiel an: Jeder weiß, was eine Mutter ist. Doch die Maschine braucht, um sich den ganzen Reichtum des Begriffs „Mutter“ klarzumachen, Hunderttausende von Merkmalen und Fakten, deren Aufzählung allein Monate in Anspruch nehmen würde, ohne die aber ihre Einschätzung dem menschlichen Mutterbegriff nicht gleichkäme. Wir haben eine Stadt gesehen und rufen aus: „Wie schön!“ Will die Maschine unsere Wahrnehmung genau nachvollziehen, so ist sie gezwungen, alle Gebäude aufzuzählen, alle Straßen, alle Bäume, alle Wolken über den Straßen, muß sie die architektonische Schönheit und die historische Bedeutung eines jeden Gebäudes beschreiben, angefangen mit den Ziegeln, der Farbe der Wände, den Überdachungen, dem Fundament und weiß der Teufel womit sonst noch, und dann wird die Schönheit, die sich uns augenblicklich erschließt, zum umständlichen Resultat zahlloser Vergleiche und Kongruenzen - zum Höhepunkt einer unermeßlichen Kette von Ursachen und Folgen.
„Du bist ein Maschinenstürmer, Eli!“ sagte Oleg lächelnd. „Darüber, ob du recht hast, will ich nicht befinden. Aber du sprachst von möglichen großen Unannehmlichkeiten. Unannehmlichkeiten auf der Reise betreffen den Oberbefehlshaber unmittelbar.
Worauf spieltest du an?“ „Nur darauf, daß jede beliebige Kette in jeder beliebigen Minute an jedem ihrer zahllosen Glieder reißen kann, so daß die ganze lange Rechnung absurd wird. Erinnere dich an die Havarie auf der ,Rammbock’. In einem bestimmten Augenblick wurden mehrere Folgen und Ursachen durcheinandergebracht.
Und die ganze logische Kette war zum Teufel. Die Schiffsmaschine begann falsche Lösungen zu liefern.
Nur gut, daß sie sich selbst abschaltete, als sie in der Sackgasse steckte. Sie hätte unter anderem
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