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Menschenskinder

Menschenskinder

Titel: Menschenskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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restaurierte Braut. Und dann fand mitten auf dem Burghof eine Begegnung statt, wie ich sie mir – o selige Pennälerzeiten! – immer wieder mal vorgestellt hatte, solange wir uns mit Schillers Maria Stuart herumplagen mussten. Sogar die Kulisse stimmte! In einer Szene begegnen sich nämlich Maria und Elisabeth von England zum ersten Mal, nicht gerade freundlich gesonnen, doch zumindest Haltung bewahrend. Noblesse oblige! Genauso musterten sich die beiden Bräute, als sie sich unverhofft gegenüberstanden, wobei Nastassja die besseren Karten hatte. Nicht nur, weil sie die Hübschere war, doch das war nicht ihr Verdienst, so was hat man ja in erster Linie den dafür zuständigen Genen zu verdanken, sondern hauptsächlich wegen ihres Kleides. Ein bisschen erinnerte es an ein Abendkleid im Trachtenlook, cremefarben mit darauf abgestimmten bordeauxroten Applikationen, enges Mieder, weiter bodenlanger Rock … Und als Pendant dazu die andere, schon in jungen Jahren übergewichtige Braut in einem Wust von weißen Rüschen, in denen sie aussah wie ein Sahnebaiser.
    Der Triumph in Nastassjas Augen dauerte nur Sekunden, dann lächelte sie freundlich, nickte und kam zu uns an den Tisch. »Die Verkäuferin, die dem armen Mädchen diesen Albtraum angehängt hat, sollte man fristlos entlassen!«, meinte sie nur.
    »Das ist nicht die Verkäuferin gewesen«, vermutete Katja – nicht umsonst hatte sie während der Studienzeit zweimal wöchentlich in der Modeabteilung eines Kaufhauses gejobbt und entsprechende Erfahrungen gesammelt. »Das war die geballte Macht von Mama, Oma, zwei Tanten und der Nachbarin, die immer auf den Hund aufpasst. – Kriegen wir jetzt endlich was zu essen, oder soll ich mir doch erst mal ’ne Bockwurst bestellen?«
    Der gräfliche Rittersaal einschließlich der angrenzenden Terrasse wurde bereits von der anderen Hochzeitsgesellschaft bevölkert, und so wurden wir in die wesentlich kleinere ehemalige Waffenkammer beordert. Eine lange, festlich geschmückte Tafel füllte den größten Teil des Raumes aus, und wer genau in der Mitte und auf jener Seite saß, wo der ausladende Kamin ins Zimmer ragte, konnte nur dann aufstehen, wenn die Plätze neben ihm ebenfalls geräumt wurden. Also wurde die ursprüngliche Tischordnung so geändert, dass die drei artigen Knaben die strategisch so ungünstigen Stühle besetzten, denn ihnen war es noch zuzumuten, bei Bedarf unterm Tisch durchzukriechen.
    Vielleicht sollte ich bei dieser Gelegenheit noch erwähnen, dass sie besonders gegen Ende des Festmahls unverhältnismäßig oft den Drang zur Toilette verspürten und sofort nach dem Dessert um die Erlaubnis baten, den Raum verlassen zu dürfen. Aus gutem Grund, wie sich wenig später herausstellte, denn als wir uns ebenfalls die Füße vertreten wollten, hatten speziell die Männer gewisse Schwierigkeiten – jedenfalls diejenigen mit Schnürsenkeln in den Schuhen. Entweder hatten sie keine mehr drin oder sie waren mit denen ihrer Nachbarn verknüpft.
    So viel zum Einfluss nördlichen Reizklimas auf die vermeintlich exzellente Erziehung halbwüchsiger Jungen!
    Die meisten Hochzeiten verlaufen alle nach dem gleichen Schema: Es wird viel zu viel gegessen, dito getrunken, Reden werden gehalten, Toasts ausgebracht, die Unterhaltung mit dem bis dahin unbekannten Tischnachbarn wird zunehmend anstrengend, weil man keine Ahnung hat von den verschiedenen Arten der Rohleder-Veredelung und es auch gar nicht wissen will, und hat man sich endlich absetzen können, läuft man dem nächsten Gast in die Arme, der aktives Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr ist und einem die Vorteile der modernen Dreh-Kipp-Leiter gegenüber den Standardmodellen erläutert. Zum Schluss tut es einem beinahe Leid, dass man nicht wenigstens mit einem zünftigen Zimmerbrand gegenhalten kann.
    Kaum hatte der Verdauungsprozess des mehrgängigen Mittagessens eingesetzt, wurde das Kuchenbüfett hereingefahren, und pünktlich um acht, als noch immer kein Mensch Hunger hatte, kamen die Kalten Platten fürs Abendessen. Zwischendurch lustwandelten wir ein wenig auf dem Burghof oder zwischen den zur Besichtigung freigegebenen Mauerresten einschließlich des zu jeder anständigen Burg gehörenden Verlieses, und plötzlich hatte ich einen schon recht gut abgefüllten Mann an meiner Seite, der mir bis dahin noch gar nicht aufgefallen war. Er stellte sich als Franz aus Ludwigsburg vor, war der Schwager vom Onkel der Braut (oder so ähnlich) und hielt von dem »Säckl,

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